Gründerparadiese
Architektur und Gesellschaft in ihren Zusammenhängen denken oder Wir waren das Volk
Das Postulat und der bitter ironische Satz sind zwei der 37 Aufsätzen dieses Buches von Wolfgang Kil entlehnt und kennzeichnen das bestimmende Moment in seiner Auffassung von Architekturkritik, die sich nicht mit der gewohnten Beschränkung auf Stil, Fassade und Einordnung in eine städtebauliche Tradition begnügt. Viele der hier versammelten Essays, die zwischen 1991 und 1999 entstanden und als Vorträge gehalten und/oder in diversen Zeitungen, Zeitschriften und Katalogen publiziert wurden, sind kritische und kluge Analysen des deutschen Vereinigungs- (oder treffender gesagt Kolonisierungs-) prozesses auf dem Feld des Städtebaus und der Kunst im öffentlichen Raum.
Mit welcher Arroganz die Geschichte der Menschen in der DDR – und eben nicht nur der DDR-Nomenklatura – in Gestalt von Straßennamen, Gebäuden, Plätzen ausradiert und durch Repräsentationsbauten für den gnadenlos auf schnelle Amortisation kalkulierenden Markt ersetzt wurde, macht Kil am Beispiel der Berliner Mitte plastisch. So wurde die Friedrichstraße in krasser Diskrepanz zur Kaufkraft des dort ansässigen Klientels zur Luxusmeile umgebaut. Lokale und internationale Architekturgrößen waren dabei mit von der Partie. Triebkraft war die vom umstrittenen Senatsbaudirektor – und als Streiter für die Beschränkung der Traufhöhe in die Geschichte eingegangene – Hans Stimmann formulierte Vision “eines Ortes der mittleren und höheren Angestellten aus Ministerien und Vorstandsetagen, ein Ort der Lobbyisten, der Banken und Versicherungen” (zitiert nach Kil, Seite 56).
Gentrification in den östlichen Stadtteilen, Yuppiesierung des Prenzlauer Berges und die Präferenz westlicher, rein marktwirtschaftlich kalkulierender Interessen gegenüber den Bedürfnissen der Bürger mit Ostprovenienz, denen neben den Arbeitsplätzen…