1. Folge:
Graf Giuseppe Panza di Biumo
Eigentlich liegt meine Bekanntschaft mit Graf Giuseppe Panza, dem Mailänder Sammler aktueller Kunst en gros, schon zehn Jahre zurück.
Es war im April 1963, als ich zwischen zwei Terminen über die New Yorker Madison Avenue schlenderte, an der mich damals noch viel eher die großen Werbeagenturen als die kleiner Galerien interessierten. Durch ein Schaufenster auf der Höhe der 72. Straße wurde ich auf Bilder des amerikanischen ‘Straßenmalers’ Allan D’Arcangelo aufmerksam, der damals seine erste Einzelausstellung hatte. In der Fischbach-Galerie, die ihr Quartier inzwischen auf der 57. Straße hat. Es waren die Markensymbole von ‘Gulf’, die mich stutzig machten und meine Neugier weckten. Marilyn Fischbach erwies sich als ein ebenso liebenswürdiger wie hilfreicher Interpret dieser neuen Malerei, die sie mit ‘Pop-Art’ bezeichnete. ‘If you want to see more of this, go to the Castelli-Gallery on 4 East 77th Street’, war ihr Rat zum Abschied.
Bei Castelli, der damals gerade Arbeiten von Scarpitta zeigte, traf ich auf eine auskunftsfreudige Sekretärin. Was es mit dieser Pop-Art auf sich habe, wollte ich wissen, und ob ich mehr davon sehen könne. Was folgte, war so etwas wie ein Privat-Kolleg über Jasper Johns und Robert Rauschenberg, über Roy Lichtenstein und James Rosenquist. Lauter Namen, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Und während die junge Dame mir ihren hübschen kleinen Vortrag hielt, holte sie Photo um Photo hervor. Weil sie mir keine Bilder zeigen konnte. Denn die Nachfrage danach sei leider, vielmehr Gott sei Dank ungeheuerlich. Für den Fall, daß ich eines der Photos, die sie mir – wie selbstverständlich – mit auf den Weg gab, zur Illustration einer Story verwenden wolle, müsse ich allerdings die Eigentümer der Bilder fragen. Sie nahm die Photos Stück für Stück zur Hand, wendete sie um und schrieb ein übers andere Mal ‘Collection Dott. Giuseppe Panza di Biumo, Milan’ darauf. Und: ‘Ask permission to print.’ Es handelte sich vorwiegend um Photos von Arbeiten Robert Rauschenbergs und Roy Lichtensteins.
Panza di Biumo? Nie gehört. Ebensowenig wie Rauschenberg oder Lichtenstein. Was für ein Mann, so fragte ich mich vor zehn Jahren, muß das sein, der sein Geld für solche Kunst ausgibt. Ich konnte nicht ahnen, daß Panza schon damals einer der größten, wenn nicht der größte Sammler zeitgenössischer Kunst war.
Zehn Jahre später, genau Anfang Januar 1973, öffnet mir Graf Panza die Tür seiner Mailänder Wohnung am Corso Porto Romano. Er begrüßt mich mit der Herzlichkeit eines guten Freundes. Und dann bin ich umringt von Sandbildern von Tapiés, und von Franz Klines. Ausnahmslos Museumsqualität! Und von frühen Fautriers. Inmitten distinguierter, lombardisch-florentinischer Wohnlichkeit.
Graf Panza macht nicht viel Worte. Er ist ein eher schweigsamer Mann, fünfzig Jahre alt. Wann er angefangen hat zu sammeln? Um 1956. Zumindest systematisch, nachdem er vorher ein paar Soldatis und andere italienische Provinzialisten erworben hatte. Dann lernte er den Pariser Kunstkritiker Pierre Restany kennen. Der riet ihm vor allem zu Tapiés und Fautrier. Verblüffend die Offenherzigkeit, mit der Graf Panza davon spricht. Von Eitelkeit scheint dieser Mann nicht geplagt. Denn welcher Sammler gesteht schon gerne, daß er auf den Rat eines anderen hin…
Ob schon in seinem Elternhaus zeitgenössische Kunst gesammelt worden sei? Keine Rede davon. Ob er künstlerisch vorgebildet sei? Giuseppe Panza ist studierter – und promovierter -Jurist. Aber Philosophie und Geschichte haben ihn immer schon interessiert. Ob er eine Sammlernatur sei und in seiner Jugend womöglich Briefmarken oder anderes gesammelt habe? Nein. Ob er sonstwie durch seinen Beruf ein besonders inniges Verhältnis zur bildenden Kunst habe? Dottore Panza ist Grundstücksmakler, und außerdem handelt er mit Getränken.
Die Sammelleidenschaft des Grafen Panza enthüllt sich jedoch erst, wenn man seine Villa in dem – 50 Kilometer von Mailand entfernten – Varese betritt. Ein schloßartiger Besitz aus 175O mit einem weiten Park und einem herrlichen Bestand alter Bäume. Der Gärtner öffnet ein altes, hölzernes Seitentor. Die Führung beginnt in einem schlichten Wirtschaftstrakt, da, wo früher einmal die Kutschen und Pferde untergebracht waren. Panza holt einen großen Schlüsselbund hervor und öffnet das erste Tor. In einem blendend weiß getünchten Raum hängen ein Dutzend Ryman-Bilder aus 1970 auf Stahlplatten gemalt. Auf dem Boden eine weiße Minimalskulptur von Bob Morris und eine charakteristische Box von Don Judd. Die kahle Nüchternheit des Raumes wird durch einen Flavin aus 1966 akzentuiert. Hinter dem nächsten Tor: Vier typische Corridor-Installationen von Bruce Naumann und ein Dia-Stück von Barry (‘It can be…’). Hinter der nächsten Tür: In der Diagonalen eine ‘Acoustic-Wall’ von Naumann. Links davon eine Arbeit von Kosuth aus vier gegen die Wand gelehnten quadratischen Glasplatten ‘Leaning’-‘Clear’-‘Glass’-‘Square’. Rechts davon ein weiteres Stück von Kosuth, eine Untersuchung des Wortes ‘Nothing”auf sechs Tableaux in Deutsch, Italienisch, Spanisch, Französisch, Holländisch und Dänisch.
Es ist sinnlos, den Eindruck zu beschreiben, den solche Räume hinterlassen. Man muß sie erfahren haben.
Hinter dem nächsten Tor: Eine weitere, große Installation von Bruce Naumann mit zwei Ventilatoren, die still vor sich hin summen. Dazwischen eine große Stahlspirale von Carl Andre. Hinter dem nächsten Tor ein hoher Raum von der Größe einer Turnhalle. Darin ein halbes Dutzend Flavins, ein etwa 4 mal 4 Meter großes Ryman-Bild, zwei große Minimal-Skulpturen von Morris, die eine aus Aluminium, die andere aus Fiberglas. Das ist keine Sammlung, viel eher eine Versammlung von Gruppenausstellungen repräsentativer Arbeiten. Diesen Eindruck gewinnt man erst recht, wenn man die Räume der Villa betritt. Im Parterre öffnet Panza nur einen langen, schmalen Raum. Auf dem Fußboden hundert Stahlplatten, ein typisches ‘floor piece’ von Andre aus 1970. Die Wände ringsum voller Rymans. Im stillen frage ich mich, ob dieser Panza einen Ryman-‘Tick’ hat. Panzas Begründung für die Konzentration seiner Sammlung auf einzelne Künstler ‘I want to give a full idea’. Wenn schon, denn schon. Im breiten Treppenaufgang verschlägt es einem den Atem: Vier großformatige, herrliche Rothkos aus dessen bester Phase um 1960. Darunter, auffallend kostbar gerahmt, ein halbes Dutzend ‘Statements’ von Lawrence Weiner. Unter einem funebren Rothko nimmt sich ein Weiner-Text fast wie eine Interpretation aus:
‘earth to earth
ashes to ashes
dust to dust’.
Und dann steht man plötzlich in einer weiten Halle, die mit kostbaren Perserteppichen ausgelegt ist. Die wenigen alten Möbel jedoch gehen in der Vielzahl der Bilder, Skulpturen und Objekten unter: Ein gutes Dutzend früher bunter ‘Store Objects’ von Oldenburg geben dem Raum eine fast heitere Note. Das ‘Bride Mannikin’ aus 1961 thront mit einladender Geste vor großen, fragilen ‘Plaster-Pieces’ von Ende der 50er Jahre. Dann fällt der Blick auf ein halbes Dutzend zum Teil großformatiger Bilder von James Rosenquist, darunter ‘Pushbutton’ aus 1960/61 und ‘White Cigarette’ aus 1960. Es sind ausnahmslos frühe Pop-Arbeiten, die Panza hier versammelt hat. Das gilt auch für die wenigen allerdings kaum repräsentativen Lichtensteins. Im Falle Lichtenstein gesteht Panza einen großen Fehler gemacht zu haben. Nachdem er frühzeitig, nämlich um 1962, einige wichtige Bilder erworben hatte, trennte er sich wenig später wieder davon. Panza: ‘It was a big mistake.’ Ein großer Fehler sei es auch gewesen, seinerzeit die Bedeutung Warhols übersehen zu haben, von dem er keine einzige Arbeit besitzt. Obwohl er in Warhols Atelier gewesen sei, wo die Bilder haufenweise herumgestanden hätten. Und noch für wenig Geld zu haben waren. Aber Panza ist trotz seiner finanziellen Möglichkeiten nicht der Typ des Sammlers, der einmal gemachte Fehler hinterher für teures Geld korrigiert. So bedauert er es beispielsweise auch, keinen Jasper Johns oder Barnet Newman zu haben. Beide hält er für bedeutende Künstler.
Umso kräftiger hat er dagegen bei Robert Rauschenberg zugelangt, von dem er ein Dutzend hervorragender, früher Stücke besitzt, darunter ‘Gift for Apollo’, aus 1959, das ‘Coca Cola-Plan Objekt’ aus 1958 und eine große Combine-Collage, in der sein Portrait mitverarbeitet ist.
Die Überraschung über den sicheren Sammlerinstinkt, den Panza bewiesen hat, ist perfekt, wenn man erfährt, daß er sowohl seine Franz Klines wie auch die Rauschenbergs sämtlich nach Photos eingekauft hat. Seine erste Reise nach New York machte Panza erst 1960. In New Yorker Händler- wie Künstlerkreisen zeigte man sich seinerzeit nicht wenig über diesen Grafen aus Mailand verwundert, der es offenbar nicht einmal für nötig hielt, seine – für damalige Verhältnisse – recht kühnen Erwerbungen vorher in Augenschein zu nehmen.
(Man darf nicht vergessen, daß Rauschenberg erst im Jahre 1964 den großen Preis der Venedig-Biennale gewann.)
‘Wenn eine Arbeit auf einer Photographie schon gut aussieht, dann ist sie in Wirklichkeit noch viel besser’, lautet die Philosophie Panzas. Man wagt ihm kaum zu widersprechen, wenn man insbesondere auch die vier großen Bilder von Franz Kline sieht, die in seinem Eßzimmer hängen. Bevor man dorthin gelangt, aber betritt man einen Wohnraum, der ganz offensichtlich der bevorzugte Aufenthaltsort der Panza-Familie ist. Denn nur hier trifft man eine gewisse Wohnlichkeit an, die allerdings nicht der Feierlichkeit entbehrt: Jedes der vier großen Rothko-Bilder, die hier hängen, würde jedem Museum zur Zierde gereichen. ‘Violet and Yellow in Rose’ aus 1956 und ‘Reds and Blue Over Red’ aus 1959 sind zweifellos die Spitzenstücke und Höhepunkte der Sammlung. Auf die Frage, welches Bild er auf eine Insel mitnehmen würde, wenn er vor der Wahl stünde, entschied sich Panza denn auch prompt für einen der Rothkos.
Neben Rothko, Kline und Rauschenberg – offenkundig in der Reihenfolge – ist es vor allem auch Oldenburg, der zu den Favoriten Panzas gehört. Ein kleines, intimes Nebenzimmer ist ringsum mit frühen, farbigen Plaster-Pieces gefüllt, darunter ‘Candies in a Box’ und ‘MuMu‘, beides Arbeiten aus 1961.
Die Fortsetzung der Sammlung im zweiten Stock der Panza-Villa beweist einmal mehr, daß dieser Sammler ‘in die Vollen’ geht – und das bis in die allerjüngste Vergangenheit hinein. Im Treppenaufgang wird auf Neuanschaffungen von Dibbets und Brice Marden aufmerksam gemacht. In den oberen, kleineren Räumen, die ausschließlich mit Kunst angefüllt sind, begegnet man wiederum Arbeiten von Andre, Naumann und Flavin. Aber da ist auch eine Skulptur von Walter de Maria, von Larry Bell, von Richard Long und wieder und wieder Bilder von Bob Ryman, an denen Panza offensichtlich einen Narren gefressen hat. Was man in der Panza-Villa vergebens sucht, sind Arbeiten von Manzoni, Yves Klein oder Fontana. Vielleicht standen ihm diese Künstler zu dicht vor Augen, als daß er ihre Größe erkannt hätte. Geradezu rührend ist es auch, wenn Panza auf zwei verhältnismäßig belanglose, kleine Arbeiten von Joseph Beuys aufmerksam macht, die an Schnüren von der Decke eines Raumes hängen: Ein kleiner Eimer und eine Schiefertafel. Panza hält Beuys für einen der größten Künstler der Nachkriegszeit. Er hatte ihm einen ganzen Raum zur Verfügung stellen wollen; aber auf das Risiko, diesen Raum erst an Ort und Stelle von Beuys gestalten zu lassen, wollte er sich nicht einlassen. Obwohl der Beuys-Händler Alfred Schmela sich bereiterklärte, die Arbeit in jedem Falle zu übernehmen.
Zu den jüngsten Erwerbungen Panzas gehören Arbeiten von Gilbert & George, Hamish Fulton und Hanne Darboven. Auf den ersten Blick erscheint es schwer verständlich, wie ein Sammler, der mit Bildern von Tapies, Kline und Rothko angefangen hat, bei ‘bloßen’ Photodokumentationen angelangt ist, die sich gängiger formaler Kriterien völlig entziehen. ‘The photos are not important’, beeilt sich Panza vor Arbeiten von Fulton zu sagen. ‘I am interested in ideas’. Ideen aber können mit Öl auf Leinwand wie auch mit amateurhaften Photos demonstriert werden. Mit solcher Erkenntnis ist Panza den meisten Sammlern meilenweit voraus.
Als ich Graf Panza auf der Rückfahrt von Varese nach Mailand danach fragte, was eigentlich sein oberstes Kriterium für gute Kunst sei, da antwortete er nach kurzem Zögern mit entwaffnender Unschuld: ‘If a work of art makes me happy’. Es brauche – maximal – ein Jahr, ehe er sich seiner ‘Happiness’ sicher sein könne.
Es ist eine ziemlich schweigsame Fahrt, die wir in seinem großen Chevrolet-Station-Wagen auf dem Weg nach Mailand nehmen. Der dichter und dichter werdende Nebel scheint es mir zu verbieten, den Dottore in ein Kreuzverhör zu verwickeln. Was zurückbleibt ist der Eindruck einer ungewöhnlich wagemutigen Sammlung großen Stils. Zwischendurch drängt sich der Verdacht auf, daß Panza ein Leo Castelli höriger Sammler sei. Rauschenberg, Rosenquist, Naumann, Judd, Morris, Flavin, Weiner, Kosuth, Dibbets und Darboven – stammen sie nicht alle aus dem gleichen (Galerie-)’Stall’? Aber wieso hat dieser Graf Panza dann nicht auch Warhols, oder Jasper Johns, oder Bontecous, oder Artschwagers, oder Scarpittas oder Daphnis oder Twomblys gekauft? Sämtlich ‘Castelli-Künstler’. Giuseppe Panza hat -offensichtlich – seinen eigenen ‘Kopf gehabt und sich dem Rat eines Galeristen, auch wenn er inzwischen mit ihm befreundet sein mag, eben doch nicht bedingungslos vertraut. Und dieser Mann hat schon gar kein Interesse daran, die Kunstgeschichte seiner Zeit lückenlos zu dokumentieren. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, seine Sammlung mit Johns und Warhol und Segal (den er für wichtig hält), und Lewitt und und und zu komplettieren. Denn an Geld fehlt es diesem Mann, der den Marktwert seiner Sammlung auf 4 bis 5 Millionen Dollar schätzt, gewiß nicht. Was den besonderen Reiz dieser ungewöhnlichen Sammlung ausmacht, ist denn auch weniger die objektive Bezeugung einer kunstgeschichtlichen Epoche als das subjektive Engagement für einzelne Künstler – in Verlängerung seiner eigenen Persönlichkeit: ‘The works of art, the paintings, in a certain sense, are the visible continuation of my personality’, lautet das Geständnis des Grafen Giuseppe Panza di Biumo, des größten und großartigsten Sammlers zeitgenössischer Kunst, den ich kennengelernt habe.