BAZON BROCK
GOTT UND MÜLL
Programmatisch war das 20. Jahrhundert als radikale Absetzbewegung gedacht: als Fortschreiten ohne Hinterlassenschaft. Denn was immer man hinterlassen würde, galt es eben hinter sich zu lassen, zu überbieten oder mindestens zu verändern. Man wollte sich an der Zukunft orientieren, also daran, dass alles ganz anders zu sein habe, als es je gewesen ist. Programmatisch wurde z.B. “Bauen” unter dem Gesichtspunkt des schnellen kostengünstigen Abrisses der Neubauten oder das Veralten der Produkte durch Einbau von Sollbruchstellen, weil zur schöpferischen Hervorbringung von etwas Neuem die Zerstörung des Alten Voraussetzung zu sein schien – schon um freien Raum für das Neue zu gewinnen. Die schöpferische Zerstörung wurde zum Synonym des ausgelobten “Neuen”. Die Kennzeichnung von etwas als “neu” wurde zum Hauptargument seiner Produktion und Konsumption.
KATHEDRALEN DES MÜLLS
Dieses Programm konnte nicht stimmig sein – wie alle bemerkten, als die Spur des Spurlosen die Welt zu vermüllen begann. Seit der Müll radioaktiv strahlt, weiß man, dass auch die radikalste Destruktion bestenfalls die Bestände verwandelt, aber nicht aus der Welt bringt.
So verengte sich der offene Horizont der Zukunft. Sie musste kalkuliert werden aus der Hinterlassenschaft ihrer Verwirklichungen als auf Jahrtausende tödlich strahlender Müll. Was die Zukunft bestimmt, nennen Menschen Schicksal, Vorsehung oder göttliches Walten. Wenn der strahlende Müll unsere Zukunft wesentlich vorherbestimmt, müssen wir die Theologie der Zerstörung um die der Vermüllung ergänzen. Sie formuliert die wichtigsten Bauaufgaben, die Kathedralen des Mülls, die Endlagerungsstätten, deren unabsehbarer Zeithorizont jenen bei weitem überschreitet, den man in den historischen Gotteshäusern anvisierte. Was sind schon 1000-jährige…