Stephan Berg
Giorgio Morandi
Kunsthalle, 23.9.89-26.11.89
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 20.1.90-18.3.90
Unter den großen Malern dieses Jahrhunderts war Morandi mit Sicherheit der stillste, zurückgezogenste und einfachste. Seinen Wohnort in Bologna verließ er so gut wie nie ( nur eine einzige Auslandsreise, nach Winterthur, ist bezeugt), und sein ausschließlich im Atelier entstandenes Werk enthält, neben einem guten Viertel Landschaften, in monolithischer Geschlossenheit ausschließlich Stilleben von immer denselben Flaschen, Vasen, Kannen und Büchsen. Die Kritik hat sich mit der unspektakulären Einfachheit dieses Ouvres immer schwergetan. Nach der Devise, daß ein Werk in seinem Inneren umso komplizierter sein muß, je schlichter und klarer es wirkt, hat man Morandis Flaschenensembles mit einer wahren Flut interpretatorischer Zumutungen überzogen. Mit gehörigem Pathos wurden seine tonigen Dingwelten existentialphilosophischem Ideengut zugeschlagen, als metaphorische Platzhalter für die Vanitas der Welt mißbraucht und schließlich sogar dem weiten Feld monochromer und serieller Malerei zugerechnet. Zugegeben: Die mönchische, entschlackt puristische Existenz Morandis reizt zu solch tiefschürfender Bedeutungssuche. Zugegeben auch, daß keine dieser Interpretationen ganz in die Irre geht. Dennoch erschließt sich das Werk des großen Italieners eben nicht, zumindest nicht in erster Linie, in einer von außen herangetragenen sinnsuchenden Exegese, sondern zuvorderst aus seiner reinen, malerischen Präsenz. Eine hervorragende Gelegenheit, diese suggestive Erfahrung zu machen, bietet jetzt die Kunsthalle Tübingen in einer auf rund 200 Bilder deutlich aufgestockten Version der Geburtstagsausstellung “Projekt Morandi Europa”, die, von der Galleria Comunale D`Arte Moderna in Bologna organisiert, bereits seit Ende 1988 unter anderem in Leningrad, Moskau und London zu sehen war. Was zuallererst an dieser Schau überrascht, sind die Wucht…