Doris von Drathen
Gilbert & George
»Retrospektive 1970-1997«
Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, 4.10.1997 – 4.1.1998
Unter großem Gelächter erzählte neulich der ehemalige Direktor des Centre Pompidou aus guten alten Zeiten und erinnerte an die Planung des “Beaubourg” in den 60er Jahren; damals habe man doch die variablen, leeren Räume geplant, weil man gewiß sein wollte, allen Überraschungen gewachsen zu sein; in jedem Stockwerk sollte es möglich sein, mit Feuer, Erdmassen, Wasserschläuchen zu experimentieren, ja, so erzählte er weiter, und wir lachten noch mehr, man wollte sogar darauf gefaßt sein, daß die gesamten Strukturen der Ausstellungen so gar nicht weitergingen, daß vielleicht zu Ende unseres Jahrhunderts Räume für Kunstvermittlung im repräsentativ-affirmativen Stil gar nicht mehr gefragt seien.
Fünfunddreißig Jahre später wird das Beaubourg renoviert, um für die Sammlung und die großen Retrospektiven repräsentativere Räume zu schaffen. So gefestigt ist das System, daß Diskussionsrunden schon fragen müssen, ob es die aktuelle Kunst überhaupt gäbe, um noch ein wenig Kitzel zu erzeugen. Und danach geht alles weiter wie bisher.
Der Anspruch von Gilbert & George, “to hit the viewer before they have time to think”, kann deshalb nicht mehr als ein nostalgisches Lächeln auslösen und wird in der großen Retrospektive im ARC erst recht mit der von Gilbert & George geliebten Fülle (“we like claustrophobia”) zugepflastert. Am Eröffnungsabend schieben sich Besucherströme durch die Ausstellungsräume, als ginge es darum, Einkaufswandelhallen einzuweihen. Es ist Modemesse und Fiac gleichzeitig, vor wenigen Wochen noch waren die großen Homosexuellen-Demonstrationen an der Pariser Tagesordnung – das Publikum paradiert elegant,…