Gesicht im Porträt / Porträt ohne Gesicht
Herausgegeben von Judith Elisabeth Weiss
Das Thema Gesicht hat Konjunktur: Gesichtsscans anstelle von Eintrittskarten, Gesichtschirurgie als Verwandlungsinstrument des Individuums, facebook als virtueller Sammelplatz von Gesichtern, facial features als Auswahlkatalog in Samenspenderdatenbanken, FacialAction Coding System als Instrumentarium der Psychologie zur Kodierung von Gesichtsausdrücken und der Vorschlag einer fazialen Wende in den Wissenschaften sind nur wenige von vielen Phänomenen, die die Gesichtsthematik derzeit in den Blick rücken. Darüber hinaus haben zahlreiche Ausstellungen zum Porträt und Anti-Porträt in den letzten Jahren die stets neue Bilderflut und Auseinandersetzung mit medialen, politischen und künstlerischen Gesichtern in einer „facialen Gesellschaft“ vor Augen geführt.1 Das mehrjährige Forschungsprojekt „Das Gesicht als Artefakt in Kunst und Wissenschaft“ des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin, das im Rückgriff auf Materialien aus Philosophie und Kunst, Literatur und Wissenschaft die für die Beschäftigung mit dem Gesicht symptomatischen kulturhistorischen Bruchlinien untersucht, ist Impulsgeber zu dieser Ausgabe des KUNSTFORUM.2 Das Projekt fokussiert Antlitzdarstellungen mit ihren Ordnungen der Formierung und Überdeterminierung und nimmt darüber hinaus Formen des Gesicht(et)-Werdens in den Blick, die Gesichtlichkeit geradezu vermeiden und aussparen. Die aktuelle Publikation Gesichter. Kulturgeschichtliche Szenen aus der Arbeit am Bildnis des Menschen (Hg. Sigrid Weigel, München 2012) untersucht das Gesicht als ein Bedeutungsfeld, auf dem die Spannung der menschlichen Gestalt zwischen Kreatürlichkeit und Gottähnlichkeit, Erhabenheit und Infamie, Starre und Bewegung ausgetragen wird.
Hat das Gesicht in der Kunstgeschichte sein Medium im Porträt und Selbstporträt gefunden, so wurden beide Gattungen bislang mit Konzepten der Zeitzeugenschaft (KUNSTFORUM Band 6, 1973), der Repräsentation (KUNSTFORUM Band 14,…