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Titel: Zeichnen zur Zeit · von Reinhard Ermen · S. 402 - 405
Titel: Zeichnen zur Zeit , 2009

Reinhard Ermen
German Stegmaier

Die Linien ziehen sich selbstbewusst und vorsichtig zugleich über das Blatt, jede liegt gleichsam auf der Goldwaage. Der Verlauf des Lineaments scheint sich dabei an der Geometrie des Blattes zu orientieren, womöglich beginnt German Stegmaier zuerst immer am Rand und erobert sich von dort den offenen Raum durch seine fragil gebauten Gerüste. Das große Weiß des Papiers wird mit dem harten Bleistift und einer übersensibilisierten Hand ertastet oder erkundet. Gegenständliches deutet sich an, ein Haus erscheint, doch so skrupulös versucht, dass sich die Architektur, die viele seiner linearen Gehversuche inspiriert, zu verflüchtigen scheint. Gefäßartige Formen tauchen gelegentlich auf, Technisches wird berührt, ein durchaus ornamentaler wie zerbrechlicher Zug definiert im luftleeren Raum seine eigene Vorstellung von Abstraktion. Der Zeichner korrigiert, manchmal verstärkt er einen Zug ganz leicht (das kommt selten vor), viel öfter radiert er. Die ausgelöschten Linien untergraben als ein schattenhaftes ‚Vorher’ diese Konstruktionen und bauen doch die Zeichnung mit. Michael Semff spricht in diesem Zusammenhang von fast „palimpsestartigen“ Wirkungen. So gräbt sich auch die Zeit in die Arbeit ein. Es herrscht eine Haltung, die man etwas salopp als ‚produktiven Geiz’ charakterisieren könnte. Ein Blatt bleibt liegen, wird immer wieder hervorgeholt, weil es nicht vorschnell aufgegeben werden soll. Das große Weiß altert noch ehe die Arbeit abgeschlossen ist. Gebrauchsspuren sind Teil der persönlichen Statur. Manchmal nimmt Stegmaier sogar das Messer zur Hilfe und rettet ein Papier durch Faltung und Schnitt, indem er die Fläche sozusagen umorganisiert. Trotz der ausgedünnten Faktur haben diese Blätter eine frappierende Widerständigkeit, die…


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