Doris von Drathen
Gerhard Richter
Retrospektive
ARC, Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, 23.9. – 21.11.1993
Es gibt Ausstellungen, die wie große Marksteine die Maßstäbe in der aktuellen Kunst wieder an ihren Platz setzen. Richters Retrospektive, die im Pariser ARC ihren Anfang nimmt, ist von dieser Qualität. Sieben Tage lang haben Kasper König, der der Kurator der Ausstellung ist, und Suzanne Pagé zusammen mit Gerhard Richter gehängt. Ein Kampf um präzise Auswahl, um auf den Punkt inszenierte Durchblicke, um haarscharfe Dosierung und millimetergenaue Plazierung: die Erschaffung einer Welt, die klingt wie eine kristallene Bachfuge.
Wie in einem ouvertüreartigen Vorspiel sind im Eingang der Ausstellung in zwei sich gegenüberliegenden kleinen Sälen in einer Auswahl aus den früheren Arbeiten der 60er und 70er Jahre all die Bilder an die Wand gebracht, deren Themen dann oben im großen Rundgang wiederkehren. Da sind die Portraits der Lernschwestern, das Verwaltungsgebäude, der Tote unter dem Block, die Stadt- und Gebirgslandschaften, einer der Adler, Onkel Rudi und das erste Bild laut Werkübersicht, der Tisch. Auch wenn Benjamin H.D. Buchloh in einer Retrospektive seiner Essays, die gebündelt und ergänzt durch ein paar neuere Aufsätze als zweiter Band der dreibändigen Ausstellungspublikation mit Werkübersicht erscheinen, wie seit eh und je behauptet, das “sujet” sei tot, die Malerei male sich selbst, sei hier ein Rundgang vorgeschlagen, der den Bildern und der sinnlichen Wahrnehmung folgt und nicht konzeptuellen Exerzitien. Denn die Ausstellung selbst ist solcherart Worthülsen um Längen voraus.
Im Zentrum stehen der Zyklus “18. Oktober 1977” und ein zweiter Zyklus, der im unmittelbaren…