Gerhard Richter
18. Oktober 1977
Zwei Taschenbücher, zu demselben Thema (sogar zu denselben Bildern!), zur gleichen Zeit veröffentlicht: Das darf man für einen verlegerischen »Supergau« halten. Da aber die verantwortlichen Lektoren jeder vom jeweils anderen Projekt wußten, hat man es offensichtlich den besprochenen Kunstwerken zugetraut, eine ausreichende Leserschaft zu finden. Dieses Vertrauen ist gerechtfertigt, zumindest was die Werke, Gerhard Richters (auch einer breiteren Öffentlichkeit mittlerweile bekannter und stets kontrovers besprochener) fünfzehnteiliger RAF-Zyklus, betrifft. Wenn in der deutschen Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Werk den Status eines singulären Meisterwerks vom Format eines »Guernica« erlangen wird, dann ist es wohl dieser Zyklus.
Martin Henatsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kunstakademie Münster, hat für die »Kunststück«-Reihe des Fischer Taschenbuch Verlags eine klassisch zu nennende Werkanalyse verfaßt. Er beginnt mit detaillierten Bildbeschreibungen, erläutert die zugrundeliegenden Motive, tastet sich langsam in den Kontext vor, stellt das Gesehene in Beziehung zu Richters Stilmittel der »Verwischung«, leistet sich einen Exkurs in das Genre der Historienmalerei (Manets »Erschießung von Kaiser Maximilian« und Goyas »3. Mai 1808«), um schließlich im Spannungsfeld der Fragen nach Abstraktion, malerischer Autonomie und Textur, der Bedeutung der photographischen Vorlagen, der Ästhetik und der postmoderner Philosophie zu resümieren. Henatsch leistet alles, was man bei dem knappen Umfang des Buches erwarten kann.
Kai-Uwe Hemken, Kustos der Sammlungen und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ruhr-Universität Bochum, hatte diesbezüglich vom Insel Verlag weniger Einschränkungen zu befürchten und steckt dementsprechend sein Terrain (bei fast doppelt so umfangreichen Textvolumen) weiter und umfassender ab als Henatsch. Hemken erläutert zunächst die Herkunft des Malers aus dem…