Rainer Unruh
Georg Baselitz
»Die Russenbilder«
Deichtorhallen, Hamburg, 16.11.2007 – 3.2.2008
Auf den Kapitalismus folgt der Sozialismus und auf den Sozialismus, folgt man Baselitz, der Pointillismus. Lenin, der Berufsrevolutionär, kommt auf einmal ganz heiter und licht daher, die Gestalt aus Farbflecken locker zusammengefügt, als habe ihn ein Windstoß von der Seine der Impressionisten auf eine Rednertribüne ins revolutionäre Russland getragen. Gewiss, die Motive der „Russenbilder“ stehen auf dem Kopf oder sind gedreht. Insofern ist sich Georg Baselitz auch in dieser Serie treu geblieben. Aber die erdigen Farben und die massigen Figuren, durch die der Maler in den sechziger Jahren berühmt wurde, verdüstern nicht länger die Leinwand. Stattdessen breitet sich ein fast schon mediterranes Kolorit aus. Rosa und violett leuchten die Leiber, und die Bäuerinnen bei der Tomatenernte strahlen so rot wie die Früchte, die sie ernten.
Die „Russenbilder“ sind Bilder über Bilder, keine Annäherungen an die Realität in der UdSSR. Als Baselitz vor zehn Jahren mit der Arbeit an dieser Werkgruppe begann, erinnerte er sich an die Darstellungen in den Schulbüchern der DDR, in der er bis 1958 lebte. Aber während der Sozialistische Realismus auf klare Farben und prägnante Formen setzte, um die Bilder einer vermeintlich überlegenen Gesellschaft in die Netzhaut und Hirne der Werktätigen zu brennen, schöpft Baselitz aus einem ganz anderen Repertoire. Der Farbauftrag ist oft aquarellhaft weich und durchscheinend, Umrisse werden nur skizziert oder von dekorativ-ornamentalen Linien gebildet. Man steht und staunt vor den Gemälden und kann kaum anders, als dieser Souveränität und Sicherheit im Umgang mit den künstlerischen Mitteln…