Friedemann Malsch
Futurismo & Futurismi
Palazzo Grassi, Venedig, 4. Mai – 12. Oktober 1986
Machen wir Schluß mit den Marmorpfuschern, deren Werke die Plätze füllen und die Friedhöfe entweihen! Machen wir Schluß mit der spekulierenden Architektur der Bauunternehmer des Eisenbetons! Machen wir Schluß mit den Dekorationsmalern ohne künstlerischen Wert, den Keramikfälschern, den käuflichen Plakatmalern, den schlampigen und dummen Illustratoren! Und dies sind unsere kurzen und bündigen Schlußfolgerungen. Mit dieser enthusiastischen Zustimmung zum Futurismus wollen wir: 1. den Kult der Vergangenheit, die Besessenheit für das Alte, die Pedanterie und den Akademismus zerstören;
2. zutiefst jede Form der Nachahmung verachten;
3. jede Form der Originalität, sei sie auch noch so verwegen oder heftig, preisen;
4. Mut und Stolz aus dem billigen Vorwurf der Verrücktheit schöpfen, mit dem man die Neuerer geißelt und knebelt;
5. die Kunstkritiker als unnötig und schädlich betrachten;
6. uns gegen die Tyrannei der Worte: Harmonie und guter Geschmack empören, da man mit so elastischen Ausdrücken leicht das Werk eines REMBRANDT oder GOYA verreißen könnte;
7. vom idealen Feld der Kunst alle schon abgenutzten Motive und Themen wegfegen;
8. das heutige Leben, das die siegreiche Naturwissenschaft unaufhörlich und stürmisch verwandelt, wiedergeben und verherrlichen.
(Umberto Boccioni, Carlo Carra, Luigi Russolo, Giacomo Balla, Gino Severini: Manifest der futuristischen Maler, 8. 3. 1910)
Wie eine Bühnenstaffage umfangen den eintretenden Besucher die mannshohen vollplastischen Lettern, die in lockerer Folge das Wort zum Begriff bilden: FUTURISMO. Über den Köpfen schweben zwei Allegorien futuristischen Weltverständnisses: zwei Flugzeuge aus dem Ersten Welt-Krieg. Galerien in beiden Obergeschossen, die um den weit ausladenden Lichthof des Palazzo Grassi herumlaufen, erlauben…