Moderne, reloaded: Interviews mit Kuratoren, Kunsthistorikern, Kunstkritikern, Museumsdirektoren
Friedemann Malsch
Kunsthistoriker und Museumsdirektor
Verborgene Traditionslinien
Seit 1996 ist der Kunsthistoriker und Kurator Friedemann Malsch Direktor des staatlichen Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz, das 2015 mit einem neuen Ausstellungsgebäude der Hilti Art Foundation erweitert wurde.
Er ist Autor zahlreicher Publikationen zur Moderne und zeitgenössischen Kunst. In den letzten Jahren widmet sich das Ausstellungsprogramm kontinuierlich den Beziehungen zwischen west- und osteuropäischen Avantgarden.
Sabine Maria Schmidt: Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ gilt als eines der wichtigsten Bilder des 20. Jahrhunderts. Das Bild steht für einen radikalen Neuanfang, für einen Nullpunkt in der Kunst. Vor einigen Jahren ist etwas sehr Überraschendes, nämlich eine handschriftliche Notiz des Künstlers in dem Bild entdeckt worden, die für Fassungslosigkeit unter Kunsthistorikerin geführt hat.
Friedemann Malsch: Ja, zwei Spezialistinnen der Tretiakov-Galerie in Moskau haben das Original des Schwarzen Quadrats auf weißem Grund von 1915 nach allen Regeln der Kunst unter die Lupe genommen. Diese Untersuchungen haben zwei wichtige Erkenntnisse gebracht. Erstens konnte nachgewiesen werden, dass die endgültige Fassung des Bildes aus einem malerischen Prozess hervorging und nicht eine rein konzeptuelle Geste darstellt. Zweitens hat man am Rand des Bildes einen (später wieder übermalten) Spruch von der Hand Malewitschs entdeckt. Er lautet in etwa: „Schlägerei von Negern im Tunnel“. Als die Forscherinnen dieses Ergebnis auf einem New Yorker Symposium 2015 vortrugen, führte dies zu großer Aufregung bei den „Gralshütern der Moderne“. Dabei zeigt es doch nur eins: Malewitsch hatte Humor und konnte selbstironisch sein. Die Aufregung ist…