Jutta Schenk-Sorge
Franz Gertsch
»Landschaften und Porträts 1986 – 95«
Hamburger Bahnhof, Berlin, 3.10.1997 – 11.1.1998
Unverhofft, aber nicht unverdient gewinnt diese sehr gelungene Übersicht zum neueren Werk von Franz Gertsch gesteigerte Aktualität: Der 1930 geborene Schweizer Künstler wurde zum diesjährigen Träger des renommierten Kaiserrings der Stadt Goslar auserkoren. Durch eine kluge Auswahl gibt die Ausstellung einen komprimierten Einblick in die Arbeit des Preisträgers, der seinen Weg abseits der Trends fand. Ein Zufall wollte es, daß gleichzeitig mit Gertsch Sigmar Polkes Retrospektive im Hamburger Bahnhof zu sehen ist.
Ein größerer Gegensatz scheint kaum denkbar. Doch er bringt Gewinn, schärft er doch die Wahrnehmung für die je eignen Qualitäten der Künstler. Während bei Polke die Experimentierfreude in Bilder- und Motivfülle explodiert und seine Poltergeister treppauf treppab durch den für diesen Anlaß fast leergeräumten Hamburger Bahnhof wirbeln, gleicht der Saal mit Gertschs wandhohen Holzschnitten einer Enklave der Stille, der Konzentration durch Selbstbeschränkung. Es entsteht im Wechselspiel mit der klaren Architektur fast eine Art fernöstlicher Meditationsraum, in dessen Zentrum ein Triptychon mit einer dunklen, von Wellenkreisen leicht bewegten Wasserfläche die Blicke sammelt. Alle Hauptwerke des letzten Jahrzehnts finden sich in diesem einen Saal: 18 Holzschnitte, darunter Farbvarianten der Motive, zwei Triptychen sowie ein Diptychon. Das scheint nicht viel, erklärt sich aber aus dem aufwendigen Arbeitsprozeß. Gertsch, bis dahin ein fotorealistischer Maler, wendet sich 1986 ausschließlich dem Holzschnitt zu. (Erst in letzter Zeit nahm er die Malerei wieder auf.) Mit immerhin 56 Jahren vollzieht er einen klaren Schnitt. Er gibt die “Zeitgeistbilder” nach eigenen Dias auf, die…