Fiona Tan
Frage nach dem Anderen
Ein Gespräch von Doris von Drathen
Die Gewohnheit, Identität über territoriale Zugehörigkeiten zu definieren, scheint immer weniger gerechtfertigt. Fiona Tan, die zu Beginn ihrer Arbeit in den 90er Jahren noch als Ausnahme galt, fügt sich heute längst in einen kulturellen Kontext, in dem sich allgemein nicht nur nationale, sondern auch kulturelle Einteilungen auflösen. Fiona Tan ist geboren im ersten Exil des chinesischen Vaters, in Indonesien (1966), aufgewachsen in Australien, dem Land der Mutter, hat studiert in Amsterdam, wo sie nun seit 20 Jahren lebt. Mit ihrer Wahl für den holländischen Pavillon setzt die Kuratorin Saskia Bos1 ein Zeichen. Denn mit der Person von Fiona Tan ist nicht nur ein Paradigmawechsel unserer kulturellen Kategorien gefordert, die Künstlerin selbst widmet ihre Arbeit einem ethisch-politischen Anspruch. Im Osten und im Westen gleichermaßen Ausländer zu sein, heißt Grenzgänger zu sein, heißt, mit Amin Maalouf2 gesprochen, die Chance zu haben, die Diversität in der eigenen Person akzeptieren zu lernen und damit eine beispielhafte Funktion zu übernehmen für das Akzeptieren von Diversität im sozialen und kulturellen Gefüge. Fiona Tan, deren Film May you live in interesting times, 1997, nicht nur in Amsterdam sondern rund um die Welt viel Aufsehen und Echo erregte, hatte damals eine Marco Polo nicht unähnliche Reise unternommen, um den Spuren ihrer Familie zu folgen. Auch wenn sie für das Thema Identität, das ihre Arbeit prägt, stark von ihrer eigenen Problematik ausging, hat sie von Anfang an die Frage nach dem Anderen in ihre Recherchen eingeschlossen –…