Relektüren
Folge 85
Rainer Metzger
Im Jahr 1953 dreht Carol Reed wieder einmal in einer von Krieg versehrten Stadt. Sein Wien des Dritten Manns ist in die Kulturgeschichte eingegangen, doch die diesbezüglich malerischere Kulisse liefert allemal Berlin. The Man Between, auf Deutsch unnachahmlich dämlich Gefährlicher Urlaub geheißen, erzählt aus britischer Perspektive, James Mason ist der Protagonist, doch die Verwicklungen haben längst die Dimension des Ost-West-Konflikts angenommen. Für das Lokalkolorit ist man bei „Hildegarde Neff“ fündig geworden, deren Name zu verstehen gibt, dass sie bei Weitem über das Berlinerische hinausgewachsen ist. Sie ist das Trümmermädchen des deutschen Films, beginnend mit der ersten seriösen Produktion seit den ominösen zwölf Jahren, Die Mörder sind unter uns von Wolfgang Staudte 1946. Sie ist in den späten 1940ern das erste It-Girl seit den röhrenden Zwanzigern. Und mit Willy Forsts Die Sünderin von 1951 zirkelt sie den Bezirk ab, auf dem das Imperium des Dritten Reiches noch einmal zurückschlagen konnte mit der Waffe, die ihm verblieben war: der kollektiven Hysterie. Hildegarde Neff alias Hildegard Knef: Eine deutsche Karriere.
Nachdem die Außenaufnahmen in Berlin absolviert waren, rückt das Team von The Man Between in die Shepperton Studios ein. London, Juni 1953: Gerade wird eine Königin gekrönt. „,Haben Sie die Parade gesehen?‘ fragt am nächsten Morgen im Shep-perton-Studio ein Journalist. – ‚Ja.‘ – ‚Was empfanden Sie als Deutsche?‘ – ‚Ich war beeindruckt.‘ – ‚Waren Sie in der Partei?‘ – ‚In welcher?‘ frage ich, um ihn zu ärgern. – ‚In der Nazipartei.‘ – Ich nicke. – ‚Sie waren Mitglied?‘ – ‚Nein.‘ –…