Relektüren
Folge 81
Rainer Metzger
Die „Fußballersprache“: In den Tagen, da diese Relektüre verfasst wird, ist sie wieder einmal in aller Munde, und weil sich alle auf diesem Gebiet auskennen, sind das allein im Deutschland der EM 2024 mehr als 80 Millionen Mäuler, die sich nun zerreißen. Neben eher Beschreibendem, heutzutage gern mit mathematischen Begriffen versetzt, fallen in dieser Sprache bevorzugt Superlative. „Aller Zeiten“ ist eine besonders totschlagende der Höchstformeln, und auch Jonathan Wilson kommt in seinem Fußballbuch, dem womöglich besten aller Zeiten, ohne sie nicht aus. Das indes in einem ganz exquisiten Gedankengang: In Wilsons Worten „verloren zwei der besten Mannschaften aller Zeiten, die Ungarn von 1954 und die Niederländer von 1974, ihre Endspiele tatsächlich – beide gegen die Bundesrepublik Deutschland, was Zufall sein kann oder auch nicht“ (S. 23).
Zufall oder auch nicht: Die weltweite Attraktivität des Fußballs hat nicht zum Geringsten mit der Frage zu tun, wieviel dabei dem Glück, der Kontingenz oder gar dem Schicksal geschuldet ist. Eklatanter als bei anderen Team-Sportarten bleibt bei diesem Spiel, das längst heiligen, wenn nicht blutigen Ernst nach sich zieht, der Faktor Ungewissheit. Die Kleinen können die Großen schlagen, die Underdogs die Platzhirsche, und die wenigen Tore, die für den Ausgang entscheidend sind, entstehen gern einmal aus dem Nichts heraus. Beim Handball – Basketball – Football verändert sich die Anzeigentafel ständig, das Spielgerät ist buchstäblich handhabbar, und so lassen sich die Zufälle vielfach korrigieren. Der Fußball lässt weniger Planung zu, und nicht einmal Geld schießt alle Tore, auch wenn es in der Gegenwart…
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