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Relektüren · von Rainer Metzger · S. 330 - 331
Relektüren ,

Relektüren
Folge 61

Rainer Metzger

„Wenn unser letztes Jahrzehnt oder die beiden letzten eine Zeit erlöschender Gewißheiten und ungewöhnlicher Unruhe war, dann ist es beruhigend zu wissen, daß die Menschheit schon Schlimmeres durchlebt hat“: Diesen Satz, beruhigender Weise gleich auf der ersten Seite untergebracht (S. 9, hier und im Folgenden zitiert nach der Ausgabe bei dtv, München 1982), kann sich mehr oder weniger jedes Buch, das sich mit Geschichte beschäftigt, auf seine Fahnen heften, denn, nein: Früher war nicht alles besser. „Die Geschichte wiederholt sich nicht“, wird auf der ersten Seite auch gleich noch Voltaire zitiert, „aber immer tut es der Mensch.“ Und so finden sich generationen- und epochenübergreifend etwa die folgenden „Mißlichkeiten: wirtschaftliches Chaos, soziale Unruhe, steigende Preise, Profitsucht, Niedergang der Moral, geringe Produktivität, industrielle Trägheit, frenetischer Vergnügungswahn, Verschwendungssucht, Luxus, Ausschweifung, soziale und religiöse Hysterie, Habgier, Geiz und Mißwirtschaft“ (ebenso: S. 9).

All diese Laster, Todsünden, allgemeinen Menschlichkeiten verbinden, sagt Barbara Tuchman, ihr 20. Jahrhundert mit jenem 14., dem sie eine Epochendarstellung gewidmet hat. So fern die Zeit sein mag, als Spiegel taugt sie allemal, und so ist ein sehr sprechender Titel herausgekommen, der dem Werk, zusammen mit der allgemeinen Renaissance des Historismus um 1980, Blockbuster-Qualitäten verliehen hat. „Calamitous“ nennt die Autorin ihr Säkulum, verhängnisvoll, katastrophal, mit einem Wort: fürchterlich, demgegenüber das „dramatisch“, das im deutschen Untertitel steht, ein wenig zu belesenbildungsbeflissen anmutet. Das Jahrhundert geht uns etwas an, meint die Geschichtsschreiberin, und wenn es auch vor allem daran liegt, dass man von ihm erzählt. „Allein die Tatsache der Berichterstattung vervielfältigt die…

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