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Relektüren · von Rainer Metzger · S. 330 - 331
Relektüren ,

Relektüren
Folge 52

Rainer Metzger

Ein Lebensprojekt, ein Opus Magnum, wenn auch ein verhindertes. 1927 entwickelte Walter Benjamin erste Vorarbeiten zu einer Art Enzyklopädie der Kapitale, Metropole, Global City Paris im 19. Jahrhundert. Es sollte seine Hauptstadt des Säkulums sein, und er wollte ihrer habhaft werden durch eine Methode unermüdlichen Sammelns: das „Passagen-Werk“. Louis Aragon, Paradesurrealist, hatte im Jahr davor mit seinem „Paysan de Paris“ eine erste Spurensuche geliefert, er war die Passage de l’Opéra entlang gegangen, hatte Schaufenster besichtigt, Bordelle benutzt und Hochprozentiges konsumiert, um einen Abgesang anzustimmen. Die Passage sollte abgerissen werden, weggeräumt um der Erweiterung eines der Boulevards willen, seinerseits tragendes Vermächtnis des 19. Jahrhunderts. Es war der Boulevard Haussmann, benannt auch noch nach seinem Planer, und es hatte etwas von historischer Folgerichtigkeit, dass das überdachte, geruhsame und dem Müßiggang des Dandys entsprechende Interieur der Dynamik der Straße Platz machte, auf der es anonym zuging und der Flaneur sich in Unermüdlichkeit übte. Sich mit Passagen zu beschäftigen, bedeutete Gedächtnisarbeit, und ohne Schwermut würde es dabei nicht abgehen. Charles Baudelaire, der bedeutendste Dichter der Epoche, hatte es in seinem Poem „le cygne“, „der Schwan“, das nicht von ungefähr „la signe“, das Zeichen, mitschwingen ließ, so formuliert: „Paris change! Mais rien dans ma mélancholie / n’a bougé! Palais neufs, échafaudages, blocs / Vieux faubourgs, tout pour moi devient allégorie / Et mes chers souvenirs sont plus lourds que rocs“ (Baudelaire, Les Fleurs du Mal / Die Blumen des Bösen, Stuttgart 1980, 178). Neue Paläste mischen sich mit alten Vorstädten, Gerüste und…

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