Friedrich Kittler
Flusser zum Abschied
Während die medienwissenschaftlichen Institute aus dem Boden sprossen, um Drittmitteln oder Industriewünschen immer näher zu kommen, blieb Flusser einer, der dachte. Wenn sie ihn, viel zu oft für ein Leben, das auf Autobahnen ausgelagert wurde, einluden, gemahnten schon seine ersten Worte daran, daß Medienwissenschaft, wenn es sie gäbe, den Platz einzunehmen hätte, den einstmals, unter scheinbar medienlosen, weil alphabetischen Bedingungen, die Philosophie besetzt hielt. Seitdem die alphanumerische Hochtechnologie, wie er sie nannte, Zahlenlawinen berechnen kann, ohne ein einziges Wort zu machen, muß trotzdem oder deshalb eine Stätte offengehalten bleiben, die dem, was läuft, seinen Eigennamen gibt.
Nachdem ihn der Faschismus (in seinen Augen nur eine weitere Folge jener Zahlenlawine) an den Rand der berechenbaren Welt exiliert hatte, kehrte ein Bote aus Alteuropa, aus Mitteleuropa, wieder, um Aktualitäten von heute und morgen an viertausend Jahren historischer Gedächtnisse zu ermessen. Und siehe an: Erst diese Konfrontation von Technik und Gelehrsamkeit machte beide einfach, begreiflich, elegant. Die jüngsten Ohren konnten hören, was ein Prophet mit flammenden Brillengläsern und grauem Bart im allmählichen Verfertigen der Gedanken beim Reden erkannte.
Denn bevor er sterben würde (so hieß es einmal aus seinem Mund), wollte oder mußte Flusser reden. Er gab an Zeiten jenseits der Geschichte weiter, was einmal Geschichte gewesen war. Seine eigene Lehre von einer Überlieferung, die bei Menschen an die Stelle ererbter Instinkte getreten ist, nahm er wörtlich. Weshalb auch die Bücher diese Überlieferung zugleich erkennen und sind.
Flusser kannte seine Grenze: Er hat nicht gerechnet, sondern gedacht. Das letzte Wort, das ich…