Jürgen Raap
FLEISCH
< BLUT > SCHLACHTEN
Nach dem Wiener Kongress 1815 waren das politische Klima in den deutschsprachigen Ländern durch eine konservative Restauration und die kulturelle Stimmung durch biedermeierliche Beschaulichkeit geprägt. Innerhalb eines solchen Zeitgeistes entwickelte man im 19. Jh. in der österreichischen Regionalküche die bis heute üblichen Rezepte zur Fleischzubereitung. Der Gastrosoph Franz Herre beschreibt die “klassische Epoche der Wiener Küche” als eine Ära “zwischen barocker Überschwenglichkeit und moderner Schwelgerei”, die “politisch wie gastronomisch ein Doppelgesicht” aufwies: “Die Menschen… wollten sich restaurieren, nach den Unbilden eines kriegerischen Vierteljahrhunderts. Vom großen Welttheater hatten sie genug, ihnen genügte die heimische, die häusliche Bühne… Der Inbegriff des biederen Phäakentums, des Einfach-Guten wurde das Rindfleisch – wovon sich nur ein Wiener einen Begriff machen kann, von der Bedeutung dieses…Wortes, das soviel umfasst: Fotzmaul, Bibergoschen, Ohrwangel, Kamm, Halsdrüssel, Stich, fettes Meisel, mageres Meisel, Brustkern, Wadschunken, Bratzel, Zapfen, G’schnattes, Hüferschwanzel, Beiried, Lungenbraten, Rindhüfel, Bauchfleisch, Rostbraten, Zwerchried, dickes Kügerl, Schulter, Schlepp…” Superlativ dessen sei der “Tafelspitz, das gesottene, doch saftig und substanziell gebliebene Gustostückerl”, das man traditionellerweise mit Apfelkren, kalter Schnittlauchsauce und Röstkartoffeln aufträgt.1
Eine eher gegenteilige Position vertritt die Wienerin Künstlerin Ingeborg Strobl. Sie hatte 1994 in ihrem Buch “Ich esse Fleisch” eine “schonungslose künstlerische Erkundung des Fleischesstriebs und der Verdrängung des Tötens unternommen… lange bevor das Thema des ,Rinderwahnsinns’ durch unsere Medienlandschaft geisterte…”2 Im Rahmen der Wiener Ausstellung “mäßig und gefräßig” fand im Mai 1996 eine Podiumsdiskussion über das Buch statt. Strobl propagiert aber keineswegs einen radikalen Vegetarismus, sondern ein “würdevolleres Umgehen des Menschen mit anderen…