Flatz: Unternehmen Leningrad
VON JUSTIN HOFFMANN
LENINGRAD, PALAST DER JUGEND, 28.4. – 31.5.1990
“Unternehmen Leningrad” nannte der in München lebende Künstler FLATZ seine Aktivitäten in der russischen 5-Millionen-Metropole am Finnischen Meerbusen. Er rief mit diesem Titel die Erinnerung wach an eine der grausamsten Nazi-Operationen gleichen Namens während des Zweiten Weltkriegs. Ein Drittel der Einwohnerschaft Leningrads verhungerte infolge der Blockade der deutschen Armee. Der Titel ist – wie bei FLATZ häufig – eine gezielte Provokation, die vor allem bei jenen besonderen Anstoß erregt, die die Doppeldeutigkeit seiner gewählten Begriffe und künstlerischen Motive nicht durchschauen. Mißverständnisse sind einkalkuliert und dienen quasi als Initialzündung für eine weitgefächerte kulturkritische Debatte. Gerade aber für einen großen Teil der russischen Rezipienten erweisen sich semantische Transformationen, wie wir sie von der westlichen Kunst gewöhnt sind, als fremdartig und nicht begreifbar. Zulange bildete die Forderung nach Eindeutigkeit und leichter Lesbarkeit für den russischen Künstler das entscheidende Kriterium. Gerade die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der russischen Kultur seit der Oktoberrevolution bildete die Grundlage für das “Unternehmen Leningrad”. Nach Robert Rauschenberg und Günther Uecker war FLATZ der dritte westliche Künstler, der in der UdSSR, und der erste westliche Künstler, der von offizieller Seite aus in Leningrad gezeigt wurde.
Der wichtigste Ansatzpunkt der Arbeiten, die FLATZ für das “Unternehmen Leningrad” herstellte, ist die alltägliche, symbolische Bildwelt der Sowjetunion, die sich zum großen Teil mit unserem Vorwissen, unseren Vorurteilen über dieses Land deckt. Ein Beispiel: Wir haben nicht nur die Vorstellung, daß der Russe viel Wodka trinkt, sondern auch in der Realität trinkt er viel Wodka….