Figuren des Verschwindens
Die Utopie vom Ausstieg aus der Kunst
von Judith Elisabeth Weiss
Enden und Nicht-Enden der Kunst im permanenten Schweigen
Am 11. Dezember 1964 führte Joseph Beuys während einer Live-Sendung des ZDF seine Fluxus-Aktion Das Schweigen des Marcel Duchamp wird überbewertet durch. Er fertigte einen zweiseitigen Bretterverschlag an, legte diesen mit Filz aus, verwandelte den so entstandenen Winkel mit Margarine in eine „Fettecke“ und schrieb seine Kritik an Duchamp auf ein großes Transparent. Er zielte damit auf die berühmte Episode des Schweigens von Duchamp, der sich in einer bestimmten Phase seines Schaffens vollständig der Kunstwelt entzog, die künstlerische Produktion einstellte und nur noch Schach spielte – eine Form des radikalen Ausstiegs aus der Kunst, die als letztes Refugium der Freiheit innerhalb der Kunst anmuten mag, die von Beuys allerdings anders aufgefasst wurde. In einem späteren Kommentar zu dieser Performance formulierte er: „Ich achte ihn [Duchamp] sehr, aber sein Schweigen muss ich ablehnen“ und verdeutlichte seinen eigenen Kunstbegriff in Abgrenzung zu Duchamp: Reden und Handeln statt Schweigen und Nicht-Tun.1 Damit wird seine Stellungnahme zur Generalkritik, deren Zielscheibe im Wesentlichen systemimmanente Mechanismen des Paradigmas Kunst waren. Sie ist zugleich ein Plädoyer für die Überschreitung und Transformation jeglicher Selbstreferentialität künstlerischer Produktion. Die Erklärungen, die Duchamp für seinen Ausstieg aus der Kunst selbst lancierte – ihm seien schlichtweg die Ideen ausgegangen und die Wahrheit sei, dass er nichts zu sagen habe, er wolle sich nicht selbst kopieren und er sei auch nicht daran interessiert, zum Sklaven des Marktes zu werden – haben in der Duchamp-Forschung…