Martin Blättner
Fernando Botero
Kunsthalle Würth, Schwäbisch-Hall, 11.11.2005 – 17.4.2006
Das irakische Gefängnis Abu Ghraib ist inzwischen zu einer Art Topos der Tortur und Entwürdigung geworden. Die Bilder der Folteropfer – die um die Welt gingen – haben diesen Ort zu einem Schandfleck gemacht. Unabhängig davon, ob es sich um einen Einzelfall handelte oder ob das Martyrium von oben angeordnet wurde, hat die moralische Glaubwürdigkeit Amerikas Schaden genommen – offenbar sind der Zivilisation seit dem Mittelalter noch keine allzu großen Schritte zur Humanität hin geglückt.
Ist Abu Ghraib deshalb ein Tabuthema für die künstlerische Avantgarde?
Kann die eher beliebige Postmoderne mit einem expressiven oder veristischen Realismus nichts mehr anfangen, weil seit der Kreuzigungs-Darstellung von Mathias Grünewald (Isenheimer Altar, 1513/15, Colmar) der abendländischen Kunst kaum mehr eine noch eindringlichere Darstellung der Marter gelungen ist? Vertragen wir den TV-Mitschnitt aus dem OP-Saal oder dem Schlachthof leichter als die detailgetreue Schilderung der Erniedrigung und Peinigung menschlicher Körper auf Leinwand? Wohl nicht. Dennoch scheiden sich an Botero die Geister, weil er sich an ein solches Tabuthema heranwagt.
So politisch kannte man den kolumbianischen Künstler nicht. Doch das ist wohl schon eine Verkennung seines Werkes. Botero lässt sich keineswegs nur auf die Deformierung menschlicher Körper in massige Volumina oder auf die naive Malerei-Tradition eines Henri Rousseau oder auf südamerikanische Einflüsse reduzieren: die klare Stellungnahme zu politischen Motiven war seither ein Thema. Gerade die bildnerische Auseinandersetzung mit dem Militär – etwa die Darstellung der Militärjunta in Lateinamerika – war lange vor dem Bilderzyklus von Abu Ghraib Bestandteil des Vokabulars formaler und…