Rainer Unruh
Félix Vallotton
»Idylle am Abgrund«
Hamburger Kunsthalle, Hamburg, 15.2. – 18.5.2008
Den Zeitgenossen war er nicht ganz geheuer. „Niemand war darauf begierig, sich von diesem unerbittlichen Auge sezieren zu lassen, das darauf bedacht war, keine physische oder moralische Hässlichkeit verschwinden zu lassen“, schreibt seine Mäzenatin Hedy Hahnloser-Bühler. Félix Vallotton (1865-1925) schockierte und verstörte. Bei seiner ersten Einzelausstellung im Künstlerhaus Zürich 1909 befand die Ausstellungskommission, „es wäre zu wünschen, dass wenigstens im Interesse eines schönen Hängens einige Akte ausgeschaltet würden“. Klar, dass sich Kurator Felix Krämer in Hamburg die Chance nicht nehmen ließ, dem Schweizer Maler historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Direkt in der Blickachse, die sich vom Eingang des Hubertus-Wald-Forums zur ersten Wand erstreckt, hängt eine „Gesäßstudie“ (um 1884), die einen nackten, von Zellulitis angegriffenen Po zeigt.
„Idylle am Abgrund“ heißt die klug komponierte Schau, die im Wesentlichen aus dem Kunsthaus Zürich übernommen und durch einige Werke aus deutschen Museen sowie eine Auswahl von grafischen Arbeiten ergänzt wurde. Der Titel spielt darauf an, dass dem Künstler nicht zu trauen ist. Selbst dort, wo er die Liebe und die Schönheit zu feiern scheint, sind die Bilder vergiftet wie der Apfel im Paradies. Das Mädchen, das in „Akt vor gelbem Grund“ (1922) im Evakostüm vor einer mit stilisierten Pflanzenmotiven geschmückten Wand posiert, entpuppt sich auf den zweiten Blick als ein schwangerer Teenager, dessen Lebensperspektive in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts gewiss noch prekärer war, als sie es heute wäre. Geld und Gewalt, Berechnung und Betrug beherrschen das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. In…