Mark Münzel
Fantasy-Autor Claude Lévi-Strauss
Eine Hommage zum 100. Geburtstag des Verfassers der „Tristes Tropiques“
Claude Lévi-Strauss, geboren 1908, ist Ethnologe und Anthropologe. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1982 war er Professor für Sozialanthropologie am Collège de France. In seinen breit angelegten Forschungen untersuchte er die unbewusste Struktur von Verwandtschaftssystemen, Mythen und Bräuchen verschiedener Indianerstämme im Amazonasgebiet. Er gilt als Begründer der strukturalen Anthropologie und beeinflusste maßgeblich neuere Ansätze der Geschichts- und Sozialwissenschaft sowie der Philosophie. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen „Traurige Tropen“ (1955), „Das wilde Denken“ (1962), die zweibändige „Strukturale Anthropologie“ (1958/1975) sowie die vierbändige „Mythologica“ (1964-1971).
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Lévi-Strauss ist ein früher Pionier der Rückkehr zum wissenschaftlich-künstlerischen Gesamtkunstwerk – nicht zufällig baut seine „Mythologica“ auf der Struktur des Wagnerschen Gesamtkunstwerkes Ring der Nibelungen auf. So mag es heute als Hommage erlaubt sein, seinen Reisebericht „Traurige Tropen“ (1955, dt. 1989, im folgenden TT abgekürzt) rückblickend als einen Vorläufer der Fantasy-Romane und -Filme zu lesen – was seine Wissenschaftlichkeit nicht leugnet, diese nur aufwertet.
Als Beispiel für eine aus zahlreichen, bei flüchtiger Lektüre kaum bemerkbaren Zeichen konstruierte, phantastische Welt nehme ich hier Lévi-Straussens Schilderung seiner Reise zu den Tupi-Kawahib.
Die Zeitreise
„Was ist anderes geschehen, als daß die Jahre vergangen sind?“ (TT, S. 38)
Den Einfluss des Surrealismus auf die französische Ethnologie der Vorkriegszeit hat James Clifford in The Predicament of Culture (1988) gezeigt. Lévi-Strauss beschreibt sein Erinnern und Darstellen so: „Zeiten und Orte stoßen zusammen, erscheinen nebeneinander oder kehren sich um […] Scheinbar zusammenhanglose Details aus ganz verschiedenen Zeiten und Gegenden schieben sich übereinander und erstarren plötzlich“…