Jürgen Kisters
Family Jones
Köln, März 1993
Man stelle sich vor, eine Familie baut in der Vorhalle des Hauptbahnhofs Campingtisch und Stühle auf und beginnt eine “tea-time”. Der Vater redet, die Mutter schneidet den Kuchen, der Großvater liest die Zeitung, der Junge zappelt unruhig auf dem Stuhl, die Tochter lächelt zufrieden. Die fünf, an ihrer Kleidung unschwer als Engländer zu erkennen, lassen sich nicht stören, während der Betrieb im Bahnhof weitermacht, Passanten vorübergehen, einige Schaulustige neugierig stehenbleiben. Einer macht einen Witz, einige fragen, was das für Leute seien, jemand sagt: “Das ist eine Unverschämtheit”; die meisten finden es ganz lustig. Irgendeiner will es dann genauer wissen, tritt an den Tisch heran und wird zu einer Tasse Tee eingeladen. Schließlich kommt die Bahnhofsaufsicht in blauer Uniform und nimmt sich der Sache an, erklärt höflich, aber bestimmt, daß Ereignisse dieser Art an diesem Ort nicht erlaubt sind, und bittet die Familie dennoch, in aller Ruhe ihren Tee auszutrinken. Er spricht derweil in seinen Walkie-talkie, nennt die Angelegenheit eine mögliche Provokation und sieht mit neugieriger Skepsis auf die Familie am Tisch: die Mutter mit dem grünen Mantel und dem Ascot-Hut, den Großvater mit dem Monokel und der “Financial Times”, den Jungen in seiner Schuluniform, die grinsende Tochter, den kommunikationsfreudigen Vater. Nachdem die englische Familie ihre Sachen wieder eingepackt hat und verschwunden ist, laufen die Gespräche unter einigen Passanten am Bahnhof immer noch weiter. Ein Mann sagt, daß “die doch ganz nett gewesen sind”, eine Frau meint, daß sie “hoffentlich nicht durch den unnachgiebigen deutschen Ordnungsgeist…