CHRISTIAN JABORNEGG & ANDRÁS PÁLFFY
EXPLIZITE SYNTAX
ÜBER DAS KANONISCHE IN DER ARCHITEKTONISCHEN PRAXIS
Die Moderne als Ganzes spielt in der Architektur auch heute noch eine wesentlich größere, explizitere und dominierendere Rolle als in der Bildenden Kunst. Nach wie vor ist sie Reibungsfläche für fast alle gegenwärtigen architektonischen Praktiken, was einerseits mit einem größeren historischen Gedächtnis der Architektur zusammenhängt, andererseits aber auch mit der Tatsache, dass Sprache und Grammatik von Architektur ganz anderen Beschränkungen unterliegen als dies in der Bildenden Kunst der Fall ist. Das Nachdenken über Architektur bewegt sich also immer innerhalb dieses mächtigen Kanons und lotet seine Grenzen weiter aus. Das Thema des Kanons spielt in dieser Diskussion auch deshalb eine so wichtige Rolle, weil gängige Programme retrospektiv immer neu unterteilt und die Verhältnisse zwischen Kanon, Subkanon und Antikanon immer wieder neu bewertet werden müssen. Selbst wenn man sich eine zeitlich, lokal und formal stark eingeschränkte Praxis wie die der deutschen Architektur der zwanziger und dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts ansieht, kann man aus einiger Distanz feststellen, dass sich etwa die Architektur eines Mies van der Rohe in ihren Intentionen und daher auch im Detail sehr stark von seinen Kollegen absetzt. Während etwa Hugo Häring, Hannes Meyer oder Ludwig Hilberseimer an einer dem sozialen Fortschritt und einer ökonomischen und gebrauchsorientierten Typologie von Haus und Stadt als vervielfältigbare Einheiten arbeiteten, versuchte Mies van der Rohe in seinen Patio-Häusern eine radikal individualistische, (über)menschenzentrierte neue Raumdefinition.1 Das Haus der Moderne kann als positivistisch definierter einheitlicher Typ höchstens als Parodie in den Filmen Jacques…