Martin Blättner
Eva Hesse
Ulmer Museum, 27.3. – 23.5.1994
Nach der inzwischen kunsthistorisch sanktionierten Erweiterung des minimalistischen Kanons um gestisch-expressive, prozessuale, ironische und persönliche Qualitäten zum Post-Minimal haben sich rückblick-end viele Möglichkeiten für Zuordnungen aufgetan, die auf Strömungen verweisen, die jene so rationale, geometrische oder formalästhetische Schablonenkunst des Minimal relativiert haben. Das bisher kaum beachtete Frühwerk von Eva Hesse vertieft diese Betrachtung. Der Selbstfindungsprozeß der mit drei Jahren dem Holocaust entflohenen und früh an Gehirntumor verstorbenen Künstlerin gestaltete sich deshalb so schwierig, weil sie ihn existentiell begründen wollte. Eine reine Ideenkunst ohne subjektives Engagement war ihr zu äußerlich. Sie lehnte es für sich strikt ab, das Persönliche vom künstlerischen Konzept zu trennen. Ihr von Ängsten und Selbstzweifeln begleiteter, auch von der eigenen Tragik gezeichneter Weg der künstlerischen Reifung durch Infragestellen des allzu Abgesicherten, unterschied sich grundsätzlich vom analysierenden Kalkül ihrer Künstlerkollegen wie Donald Judd oder Sol LeWitt. Noch mehr als das bekannte plastische Werk der reliefartigen Wandarbeiten und der freihängenden Skulpturen, das der nach New York emigrierten Hamburgerin zum Durchbruch verhalf, verweisen die frühen Gemälde, Aquarelle und Gouachen auf zutiefst humanistische Wurzeln: thematisiert sind Seinsbedrohung und Gefährdung durch Entpersönlichung und Ungeborgenheit. Bis zur alptraumartigen Psychose gesteigerte Konflikte behandeln gestisch-expressionistische Bilder um 1960, die mit großer Suggestionskraft die Farbe und die aufgelöste Form als unmittelbare Ausdrucksträger einsetzen. Ihre in Öl gemalten Portraits lesen sich wie verschlüsselte Gesichte autobiographischer Züge. Eine übergroße, schwammig aufgedunsene Form drückt auf einen schwefelgelben Mädchenkopf, der ganz auf die zeichenhaften Gesten des Schmerzes und der Niedergeschlagenheit reduziert ist. Ein…