PETER HERBSTREUTH
»Etwas machen, das in der Zeit lebt, den Betrachter Zeit erleben lässt …«
Zum Streit des Projekts von Hans Haacke für das Reichstagsgebäude
Hans Haacke hatte 1965 als Neunundzwanzigjähriger sein künstlerisches Credo im Modus des Infinitivs wie eine Litanei zusammengefasst: “… etwas machen, das Erfahrungen und Erlebnisse hat, das auf seine Umwelt reagiert, sich verändert, unsolide (nicht starr) ist; etwas Undeterminiertes machen, das immer anders aussieht, dessen Gestalt nicht präzise voraussagbar ist; etwas machen, das auf Licht- und Temperaturveränderungen reagiert, das Luftbewegungen unterworfen ist, die Schwerkraft ausnutzt; etwas machen, das der ‘Betrachter’ in die Hand nimmt, mit dem er spielt und ihm so ‘Leben’ verleiht; etwas machen, das in der Zeit lebt, den ‘Betrachter’ Zeit erleben lässt; NATÜRLICHES artikulieren…” Jede Zeile trifft für seinen Vorschlag für den Reichstag zu. Hans Haacke ist seinen künstlerischen Absichten treu geblieben. Verändert hat sich die Welt; Hans Haacke nicht.
Er hatte vom Deutschen Bundestag die Einladung angenommen, für das Reichstagsgebäude eine künstlerische Arbeit vorzuschlagen, die dauerhaft installiert werden sollte. Der Kunstbeirat hat seinem eingereichten Konzept letztes Jahr zugestimmt; Teile der CDU, der CSU und der Grünen wollen die Realisierung verhindern und fordern darüber eine Parlamentsdebatte.
Hans Haacke schlug vor, im nördlichen Lichthof einen Holztrog (6,8 x 20,8 m) aufzustellen, der von den 669 Abgeordneten des Parlaments in jeder Legislaturperiode mit einem Zentner Erde aus den jeweiligen Wahlkreisen aufgefüllt wird. Was aus dieser gesamtdeutschen Erde wächst, soll wuchern und darf weder gejätet noch kultiviert werden. Es soll sich selbst überlassen bleiben. In dem Trog soll dann als…