WILHELM SCHMID
Ethik der Selbsterfindung
ÜBER PRODUKTIVE WIDERSPRÜCHE BEI MONTAIGNE (1533-1592)
Daß man von einer Aktualität des Ästhetischen sprechen kann, ist offenkundig: Alles, was irgendwie mit Kunst, gutem Leben, sinnlichem Genuß und den Fragen der Wahrnehmung zu tun hat, wird gerne unter dieser allgemeinen Rubrik zusammengefaßt. Zur Aktualität des Ästhetischen trägt auch die Diskussion über Ethik und Ästhetik bei, wie sie die neunziger Jahre prägt.
Vivre à propos
Das Interesse für die individuelle Form des Lebensstils, die die allgemeine Norm des Verhaltens abzulösen verspricht, ist neu erwacht. Besonders umstritten ist in dieser Diskussion der Begriff der “Ästhetik der Existenz”, der noch näherer Klärung bedarf. Der Begriff stammt von Foucault,1 er gehört zu seiner Hinterlassenschaft, die nicht wenigen schwer zu schaffen gemacht hat. Foucault? Hat er nicht immer von den Strukturen der Macht und der Ohnmächtigkeit der Individuen gesprochen? War das Subjekt, das sich nun angeblich um die Ästhetik seiner Existenz bemüht, nicht von ihm für “tot” erklärt worden?
Ästhetik der Existenz also, reizvoll, aber wenig faßbar. Foucault meinte damit zumindest dreierlei:
o die Kunst der Formung und Führung seiner selbst;
o die gesteigerte Sensibilität, die der als Ethik verstandenen Führung des Lebens zugrunde liegt;
o die Frage der persönlichen Wahl, der er begründende Funktion für eine als Lebenskunst verstandene Ethik und Ästhetik zuweist.
Der Begriff der Ästhetik der Existenz steht Seite an Seite mit dem Begriff der “persönlichen Wahl”. Diese Wahl betrifft die Gestaltung der eigenen Existenz, auf die sich das Individuum damit selbst verpflichtet. Sie legt den Grund für den Stil der Existenz und die ihn prägende Selbstsorge,…