Michael Hübl
Estland
Mark Raidpere – Isolator“
Manchmal wird die Biennale zum exterritorialen Forum, auf dem sozusagen innenpolitische Kontroversen des ausstellenden Landes verhandelt werden. „Isolator“ heißt der Titel einer Raumfolge, die mit Arbeiten des estnischen Fotografen Mark Raidpere bestückt ist. Zu der nüchtern- zurückhaltenden Auswahl an Großfotos und Videos gibt es einen Hinweis. Der erste (auf Info-Blättern wiederholte) Satz im Katalog ist das Zitat eines Schulleiters in Estland, der seinen gegen Schwule und Lesben gerichteten Aggressionen Luft verschafft haben soll, indem er sagte: „Meiner Meinung nach sind solche ‘Männer’ und ‘Frauen’ Feinde des estnischen Staates und sollten isoliert werden.“ Raidperes narzistische Selbstdarstellung, wie er sie in „iO“ (1997), einer Serie von Schwarzweißaufnahmen, durchexerziert, lässt sich zu der repressiv-faschistoiden Pädagogen-Aussage, die den kunsthistorischen Ausführungen vorangestellt ist, in Bezug setzen. Der Künstler posiert – ähnlich wie der frühe Klauke – in diversen lustbetonten Haltungen, die sicher nicht dem traditionellen Bild eines gutbürgerlich heterosexuellen, womöglich ‘harten’ Mannes entspricht.
Im Gegensatz zu Klauke agiert Raidpere nackt. Auch drapiert er den Körper nicht mit Sexualspielzeug, sondern stellt Wundmale, Verletzungen, die Spuren von (autodestruktiver) Gewaltanwendung aus. Diese Unterschiede lassen sich auf den Gegensatz der Systeme, in denen die Künstler sozialisiert wurden, zurückführen. Sie gründen aber auch in dem historischen Abstand, der zwischen Klaukes Auftritten wie „Self Performance“ oder „Transformer“ und Raidperes „iO“ liegt und der deutlich macht, wie stark sich das soziale und kulturelle Profil der westlichen Gesellschaften in Richtung Gewalt gewandelt hat: Gäbe sich Raidpere so verspielt-experimentierfreudig wie Klauke in den siebziger Jahren, würde das nur wie fahle…