DORIS VON DRATHEN
Esther Shalev-Gerz
Geht Dein Bild mich an?
Est-ce ton image me regarde?
Does your image reflect me?
Sprengel-Museum, Hannover, 22.5.2002 – 19.1.2003
Ganz ähnlich wie das Wort, das ein Ereignis kommentiert, Distanz schafft zwischen erlebter und erzählter Welt, so lässt auch die Kamera das Gesehene von dem Beobachtenden abrücken.
Esther Shalev-Gerz ist es gewohnt, in einem Zwischenraum zwischen den Bildern der Erinnerung zu arbeiten, in dem ungeformten Spalt des Vergessens, der sich auftut, wenn Bilder aufeinanderfolgen. Während manche also ihre Arbeit als eine Arbeit des Erinnerns, des Sprache- und Bilder-Dokumentierens verstehen, interessiert sie selbst sich eigentlich eher für jenen Hiatus, der sprach- und bilderlos ist.
Und genau aus diesem Grund ist ihre jüngste große Arbeit, mit künstlerischen Mitteln ein Stück mündliche Geschichte, der unaussprechlichsten Geschichte, in Museumsräume zu holen, atemberaubend neu.
Mit der Video-Kamera sucht Shalev-Gerz den Anderen, lässt ihn erzählen, hört zu und zeichnet auf. In diesem Fall sind es zwei Frauen, die eine hat das Konzentrations-Lager von Bergen-Belsen überlebt, die andere hat in der Nähe von Hannover die Kriegsjahre durchgestanden. Die eine wurde sich ihrer jüdischen Herkunft erst durch die Raserei der Nazis bewusst, die andere gehörte zu den Deutschen, die mit ihrem Antifaschismus vorsichtig umgingen, um nicht aufzufallen. Isabelle Choko, geborene Izabella Sztrauch, war am Kriegsende 16 Jahre alt, wog 25 Kilo, hatte beide Eltern verloren und konnte weder essen, trinken, gehen, schlafen. Charlotte Fuchs, heiratete in den 30er Jahren ihre große Liebe; beide waren Schauspieler und hatten zwei Kinder; wenige Monate vor Kriegsende wurde ihr Mann erschossen, davon…