Marius Babias
Erzählen
Akademie der Künste, Berlin, 9.10. – 27.11.1994
Ein Netz spannt sich über den Betonboden im künstlich angelegten Innengarten der Akademie, bedeckt das Schilf, taucht unter im kleinen Teich, fängt das direkt einfallende Licht und leitet es durch die Glaswände ringsum ins Gebäudeinnere. Die Autorin dieser Erzählung ohne Worte heißt Simone Mangos. Sie schrieb gewissermaßen das Vorwort zu einer Ausstellung mit elf in Berlin lebenden Künstlerinnen, erzeugte mit visuellen Mitteln ein Sprachmuster, das ohne Sprache auskommt. Literarische Texte produzieren Bilder und Bilder sind textuell organisiert. Roland Barthes, der im Citroën DS das neuzeitliche Äquivalent der gotischen Kathedralen sah, erkannte im Bild eine dem Text wesensverwandte semantische Substanz, die aber von der Linguistik nicht erschöpfend gefasst werden kann. Der Rest ist Schweigen, Poesie, Kunst.
In dieser Ausstellung also “geht es nicht um Endpunkte, sondern um Eckpunkte”, wie Kurator Michael Glasmeier formuliert, was bedeutet, daß auf ein thematisches Korsett oder eine kunsthistorische These verzichtet wurde zugunsten der “singulären Objektivität”. Kein genrefixierter Gruppenzwang und keine Geschlechterproblematik, dafür elf weiträumig präsentierte Einzelpositionen, verknüpft durch ein Fangnetz visueller Erzählungen, das aus der Sprache die Bilder herausfischt. Zeugt es von Ignoranz, wenn sich eine Ausstellung ausschließlich mit Künstlerinnen nicht feministisch verklammert, oder gerade von Emanzipation, obwohl die Hälfte des Budgets (150.000 Mark) aus dem Künstlerinnenprogramm des Kultursenators stammt? Diese Frage kann ebenso wenig mit einem ominösen Qualitätsbegriff beantwortet werden, wie umgekehrt nicht jedes feministisch argumentierende Kunstwerk zwangsläufig schlechte Kunst ist. Allerdings kommen Werke letzterer Sorte nicht vor. Böse Zungen wollen in der Einladung an einen männlichen Kurator…