Eros auf dem Prüfstand
Was bedeutet “sexuelle Liberalisierung” für die Kunst der letzten dreißig Jahre?
Von Peter Gorsen
Ein Rückblick auf die erotische Kunst der letzten dreißig Jahre zeigt ihre Abhängigkeit vom Stand der “sexuellen Liberalisierung”, die im Nachkriegsdeutschland nur mühsam in Gang kam. Die sechziger Jahre standen im Zeichen einer Demokratisierung von Rechtsvorschriften, die noch aus dem vorigen Jahrhundert stammten1, unterm Faschismus Geltung hatten und im Nachkriegsdeutschland die Freiheit der Kunst ständig mit dem Straftatbestand der Gotteslästerung, der Verbreitung unzüchtiger Schriften, Darstellungen oder Abbildungen und seit 1953 der Verbreitung jugendgefährdender Produkte konfrontierte.
Obwohl das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland von 1949 die Freiheit der Kunst nach dem Vorbild der Weimarer Reichsverfassung ausdrücklich garantiert, wurde doch das Vorhandensein dieser Kunstschutznorm in der Rechtsprechung anfänglich weitgehend ignoriert2. Der allmählich einsetzende Lernprozeß der Recht sprechenden Institutionen und der sittlichen Öffentlichkeit, die stets auch das skandalöse Denunziantenpotential stellt, wurde vom erotisch interessierten Teil der Künstler der 50er und 60er Jahre mitgetragen. Sie brachten die veränderten Wertvorstellungen der Nachkriegsgesellschaft am pointiertesten zum Ausdruck und signalisierten dem “gesunden Volksempfinden”, einer noch überall anzutreffenden nazistischen Gesinnung, daß Demokratie und Zensur sich ausschließen. Es kam zu einer Reihe von “Kunstprozessen”. Wie lange der Prozeß der “sexuellen Liberalisierung” sich hinzog, zeigen die zornigen Beiträge im Sonderheft der “Streit-Zeit-Schrift” zum Thema “Pornografie” und “Kunstzensur”. Dort schrieb Horst Bingel 1969 die lapidaren Sätze: “Nicht Busen, nicht Sex schaden Jugendlichen, sondern Sadismus, Militarismus, Revanchismus, die DDR in Anführungszeichen schaden. Wir schützen die Jugend vor Pornographie – und bringen uns fortgesetzt um moralischen Kredit.”
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