Ernsthaft niedlich
Wie Künstler sich die Ambivalenzen des Niedlichen zunutze machen
Von Angelik Vizcarrondo-Laboy
Niedlichkeit ist die erste Ästhetik, mit der die meisten von uns im Leben konfrontiert werden. Durch Spielzeug sind wir ihr schon als Babys ausgesetzt, lange bevor wir uns bewusst sind, was wir da eigentlich sehen. Üblicherweise ähnelt ein niedliches Objekt einem menschlichen oder tierischen Baby. Anthropomorphismus ist eine seit der Antike gängige Strategie, um andere Lebewesen oder Götter sympathischer wirken zu lassen. Diese Strategie ist der Schlüssel zur Wirksamkeit von Niedlichkeit und erfordert nur sehr wenig, um erfolgreich zu sein. Eine bestimmte Geste des Gesichts in Kombination mit weichen Texturen, abgerundeten Formen und fröhlichen Farben erzeugt ein Gefühl von Zärtlichkeit und Verletzlichkeit, das im Betrachter den Wunsch weckt, sich zu kümmern und das niedliche Gegenüber zu beschützen. Niedliche Objekte sind faszinierend, weil sie nahbar sind, aber noch wichtiger ist, dass man sie besitzen kann.
Wir sind an den passiven Komfort solcher Figuren gewöhnt und erleben immer wieder, wie sie durch die Magie der Animation etwa in Zeichentrickfilmen zum Leben erweckt werden. Doch trotz der starken Assoziation mit dem Kindlichen reichen die Präsenz und der Einfluss des Niedlichen in der Populärkultur weit über die Kindheit hinaus. Wie Sianne Ngai in ihrem bahnbrechenden Buch „Our Aesthetic Categories: Zany, Cute, Interesting“ (2012) geschrieben hat, demonstriert Niedlichkeit „das überraschend breite Spektrum von Gefühlen, die von Zärtlichkeit bis hin zu Aggression reichen und die wir gegenüber scheinbar untergeordneten und unbedrohlichen Gütern hegen.“ Dabei hat Japans blühende Kawaii-Kultur als Katalysator für ein weltweites Phänomen eine…