1. Emanzipation versus Tradition: Krise der Archive?
Erinnerungen an das Gedächtnis
Von Wolgang Pichler
Mit einer gewissen ironischen Nostalgie hat sich vor nicht allzu langer Zeit das Gedächtnis wieder in Erinnerung gebracht. In der Epoche der alles verwaltenden Speichermedien hat es wohl das Stichwort aufgegriffen, sich aber einer alten, fast vergessenen und in jedem Fall überholten Technik bedient, der Mnemotechnik, um erneut eine Schar erinnerungswilliger Kunstbegeisterter um sich zu scharen. “The art of memory” von Frances A. Yates (1966) war einer der Kristallisationspunkte. Damit war der Erinnerung Raum gegeben. Wir wollen im folgenden diesen Raum ausweiten.
Totengedenken
Auf der nicht ganz von Verzweiflung ungetrübten Suche nach einem Bild für die Veranschaulichung von Gedächtnis mag man irgendwann auf die eingebildete Stadt Argia treffen.
»Was Argia von den anderen Städten unterscheidet, ist der Umstand, daß es an Stelle der Luft Erde hat. Die Straßen befinden sich ganz in der Erde, die Zimmer sind bis zur Decke mit Lehm angefüllt, auf die Treppen legt sich eine andere Treppe im Negativ, über den Hausdächern lasten steinige Erdschichten wie Himmel mit Wolken. Ob die Einwohner einhergehen können, weil sie die Gänge der Würmer und die Spalten verbreitern, in die sich die Wurzeln drängen, wissen wir nicht: Die Feuchtigkeit zehrt die Körper aus und läßt ihnen nur wenig Kräfte; es ist besser für sie, wenn sie ruhig und ausgestreckt liegenbleiben, ist es doch ohnehin dunkel.Von Argia sieht man hier oben nichts; einige sagen: Da unten liegt es, und das kann man nur glauben; die Gegend ist einsam. Nachts, wenn man sein…