Ingo Arend
Erinnerung an das verlorene Paradies
Kunst- und Gewaltexplosion an der Côte D’azur
Als ich in der Küstenstadt Menton unter den Orangenbäumen stehe, die die Allee zum Mittelmeer hinunter säumen, verstehe ich, warum Côte d’Azur und Paradies gemeinhin als Synonyme gelten. Was soll man schon anderes von einem Landstrich halten, der in der Mythologie als Zufluchtsort Adam und Evas nach der Vertreibung aus dem Garten Eden gehandelt wird und dessen Exportschlager Früchte, Mimosen, Parfüm und Erinnerungen sind? Die stets gegenwärtige Sonne, die das Meer in den heißen Sommermonaten in flirrendem Azur erglühen läßt, macht den von den steil ins Meer herabstürzenden französischen Seealpen geschützten Flecken zum paradiesischen Symbol für Wärme und bebendes Leben. Doch das Paradies ist in Gefahr.
Kein Wunder, daß sich an der Zuflucht der zivilisationsmüden englisch-russischen Aristokratie und Großbourgeoisie bislang durch einen rational-asketisch reduzierten Antikebegriff unterdrückte Projektionen wie aus einem Ventil freie Bahn brachen. Die Côte und ihr provencalisches Hinterland avancierten zum Kunstland schlechthin: Kunst als Ergebnis eines gelebten Naturexzesses. Davon zeugen Schaffen und Hinterlassenschaften von Renoir in Cagnes-sur-Mer, von van Gogh in Arles, Matisse in Vence, von Derain, Fragonard und Chagall in Nizza und die über die ganze Côte verstreuten Zeugnisse von Picasso, Cocteau und Braque.
Es ist vor allem diese seelische Anziehungskraft, die von der Côte d’Azur ausgeht. Picasso kam wegen des Lichtes im Sommer nach Antibes, schuf im dortigen Grimaldi-Schloß in wenigen von Arbeit besessenen Monaten ein Oeuvre von einmaliger Geschlossenheit und Dichte, das er der Faszination des Mittelmeeres verdankt. Samten und tiefazur hält es Küste und…