Die Sinne und das Problem der Hegemonie
Astrid Deuber-Mankowsky
Erinnerung als Form.
Geschlechterverhältnisse und der Diskurs des Imaginären
Prolog
“Jetzt sucht die Frau ihre eigene Wahrheit”, beginnt Laure Wyss ihr erstes Buch “Mutters Geburtstag”, das 1978 erschienen ist, als die Autorin bereits pensioniert war, ein erfolgreiches Arbeitsleben als Journalistin hinter sich hatte, und sie fáhrt fort: “Hat sie sich nicht oft damit beschäftigt, was die anderen taten, was sie dachten, wie sie redeten, dabei vergaß sie sich selbst, ließ sich liegen, wie ein zerknülltes Taschentuch, las sich nicht mehr auf.” Und nun will sie wissen. “wie es wirklich war”? Sich selbst aufheben, dieses zerknüllte Taschentuch auseinanderfalten, ein Unternehmen angehen, daß jenem von Baron Münchhausen ähnelt, als er sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf ziehen sollte?
Vielleicht stand diese oder eine vergleichbare Wunschvorstellung tatsächlich am Anfang des Schreibens von “Mutters Geburtstag” – und wurde dann durchkreuzt von der Eigengesetzlichkeit des Schreibens, Erinnerns, Erzählens. Das Buch erzählt also, um es vorwegzunehmen, nicht, “wie es wirklich war”. Der nachvollziehbare Wunsch, einer alleinerziehenden Mutter in der Schweiz in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren dieses Jahrhunderts wenigstens im nachhinein, in der Erinnerung, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, geht nicht auf. Der Wunsch, ein unter allem Verschütteten heilgebliebenes weibliches Selbst zu rekonstruieren, an das anzuknüpfen wäre, ist uneinlösbar. Erinnerung ist, das die Erfahrung, kein Heilungsprozeß.1 Was dann?
Laure Wyss, eine, die sich im Alter dem Schreiben endgültig – verschrieben hat, antwortet fünfzehn Jahre nach Erscheinen von “Mutters Geburtstag” auf die Frage, ob Frauen denn keine Vergangenheit haben: “Frauen leben sehr stark…