Hanne Weskott
Erika Giovanna Klien und der Wiener Kinetismus
Galerie Pabst, München, 29.10.-23.12.1986
Museum Moderner Kunst, Wien, 26.3.-10.5.1987
»Wir behaupten, daß die Herrlichkeiten der Welt sich um eine neue Schönheit bereichert haben: die Schönheit, die der Schnelligkeit innewohnt … Aufrecht auf dem Gipfel der Welt schleudern wir nochmals unsere Herausforderung zu den Sternen!«
Soviel Stolz und Sendungsbewußtsein, aber auch ein Medium wie »Le Figaro«, in dem dieses Gründungsmanifest für den Futurismus 1909 von F. T. Marinetti veröffentlicht wurde, hat der Wiener futuristischen Sonderform, »Kinetismus« genannt, gefehlt, sonst wäre sie nicht über so viele Jahrzehnte unentdeckt geblieben. Wenn weiter im Manifest ein »aufbrüllendes Automobil, das einem schießenden Maschinengewehr gleicht«, als viel »schöner als der Sieg bei Samothrake« bezeichnet wird, dann wissen wir zwar nicht, ob Erika Giovanna Klien, die Hauptprotagonistin des Wiener Kinetismus diesen Satz so ohne weiteres unterschrieben hätte, aber das prachtvolle Bild der »Lokomotive« (Abb. 1) läßt eine geistige Verwandtschaft zumindest mit Recht vermuten. Diese Lokomotive hätte auch einen Ehrenplatz in der Futurismusausstellung in Venedig verdient, aber dort gab es das Wiener Phänomen »Kinetismus« ebensowenig wie in anderen einschlägigen Publikationen. Deshalb ist über die Rezeptionsgeschichte »Wiener Kinetismus« auch nicht viel zu berichten. In den wenigen Jahren zwischen 1918/20 und 1925, als dieser »Stil« entwickelt wurde, gab es zwar einige Ausstellungen im In- und Ausland, aber immer nur im Zusammenhang mit der Ci-zek-SchuIe, der es mehr um eine neue Richtung in der Kunsterziehung als um einen neuen Kunst-Stil ging. Aus jener Zeit existiert eine persönliche Interpretation der Cizek-Schule, in der auch der Kinetismus gewürdigt…