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Titel: Kunst ohne Werk · von Dieter Mersch · S. 94 - 103
Titel: Kunst ohne Werk , 2000

DIETER MERSCH
Ereignis und Aura

RADIKALE TRANSFORMATION DER KUNST
VOM WERKHAFTEN ZUM PERFORMATIVEN

“Die Leute denken immer, dass es etwas zu verstehen gäbe. Sie stellen sich vor, der Komponist hätte tatsächlich etwas im Sinn.”
John Cage

Zu den bestürzendsten Thesen über die Kunst der Moderne gehört Walter Benjamins Diagnose vom Verlust ihrer Aura. Sie ist mit dem Verlust des Kunsthaften selber zu identifizieren. Nicht bezeichnet sie das Signum technischer Reproduzierbarkeit schlechthin, denn das Kunstwerk, so Benjamin, “ist grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen”1; vielmehr gewinnt das Verhältnis von Kunst und Reproduktion im Zeitalter von Technik und Medien eine neue Dimension. Exemplifiziert wird sie anhand der Möglichkeit nahezu perfekter und unbegrenzter Wiederholbarkeit. Sie trifft die Kunst in doppelter Weise. Nicht nur wird sie allerorts und jederzeit beliebig verfügbar; vielmehr lässt die Vielfalt der reduplizierten Bilder und Abbilder die Werke nicht unangetastet, die in ihrer Besonderheit sich gegen diese nicht länger zu behaupten und durchzusetzen vermögen. “Noch bei der höchst vollendeten Reproduktionen fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerkes – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet. … Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen – und natürlich nicht nur der technischen – Reproduzierbarkeit.”2 So gerät die “Autorität der Sache” ins Wanken.3

Der Befund ist oft missverstanden worden. Denn was Benjamin als “Aura” bezeichnete, das “Geheimnisvolle” des Kunstwerks, ist durchaus nicht klar. Notwendig gehört der Aurabegriff, den Benjamin freilich nostalgisch der Sphäre religiöser Erfahrung entlehnte, zur ästhetischen Bestimmung des Kunstwerks in seiner Autonomie – nach Adorno sogar zum Konstituenz von…


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