Rosemarie Trockel
Endlich ahnen, nicht nur wissen
Ein Gespräch mit Doris von Drathen
Für ein Portrait-Photo hat Rosemarie Trockel die eine Gesichtshälfte völlig abgewandt, auf der anderen hat sie mit Kajal-Stift ihr Gesicht ergänzt: spöttischer Mund mit Schnurrbart, melancholisches Auge. Ein androgyner Scherz.
Das Versteckspiel ist gelungen. Rosemarie Trockel schickte das Photo mit den Korrekturen zu ihrem Interview: Sie hatte zwei Drittel gestrichen und ausführlich Erzähltes, unbefangen Erklärtes, ersetzt durch statementartig geraffte Aussagen.
Diese Vorgehensweise gehört zu ihrer Arbeitsmethode. Zeichnungen oder Aquarelle werden zerstört, wenn plötzlich etwas entstanden ist, das sie so nicht zulassen will oder kann. Die Grenze wird nachher gezogen.
Im Atelier während der Gespräche, während der Verabredungen über Auslassungen, Kürzungen, Änderungen, tauchte immer wieder das Bild vom Gewebe der Penelope vor mir auf: Weben und Auftrennen, Weben und Auftrennen.
Es ist still in dem Atelier. Rosemarie Trockel arbeitet in einem Hinterhaus, das früher einem Handwerksbetrieb gehörte. Von allen Fenstern schaut man auf Kölner Kirchtürme. Vor einem der Fenster lehnt eine kobalt-blaue Glasscherbe; sie hat die Form eines Kirchenschiffs mit Turm. Rosemarie Trockel war das Blau aufgefallen und die Form. Die Scherbe lehnt schon lange da; vielleicht wird irgendwann mal etwas daraus.
Auch das gehört zur Arbeitsweise von Rosemarie Trockel: Sie sammelt, sie hortet, sie verbringt viele Stunden in der Woche in der nahegelegenen Stadtbibliothek: Irgendwann treffen sich die Kreise von Intuition und Gedankenwelt; der Zufall, der überraschende Moment ist oft ausschlaggebend für das Entstehen einer Arbeit. Solche Kreise können sich über Jahre entwickeln, können bis in die Kindheit zurückreichen, können politische oder gesellschaftliche…