Hermann Pfütze
endart
Kunstamt Kreuzberg/Bethanien, Berlin, 27.8. – 23.10.1994
Nichts ist zu abwegig, um es zu sexualisieren – oral, anal, genital, wie es gerade frommt und schmeckt. Auf etwa dreihundert Bildern, Fotos, Objekten und Assemblagen aus vierzehn Jahren endart wird an der Ekelschwelle Scherz getrieben, wird vulgäre Triebtheorie hemmungslos ausgepinselt und werden Staat und Kirche mit dem Unterleib gelästert. Männlich unbekümmert um die neue Geschlechterordnung und um politisch-moralische Reinheitsgebote, plädiert endart für “die kunstvolle Abtötung jeden Rassebewußtseins”: Im End(art)effekt verschwinden die Unterschiede zwischen Menschen, Tieren und Dingen – alles ist nur ein fortwährendes rein und raus. In der Tat sehen manche Dinge auf den Bildern und Assemblagen aus wie offene Konservenbüchsen. Wenn wir alles, was wir täglich anfassen und essen, nur hinlänglich lange und genau betrachten würden auf seine organischen und symbolischen Qualitäten hin, bewegte sich unser Geschmack langsam aber sicher auch in Richtung endart-Niveau.
Der Witz dieser Kunst – und auch ihre relative Haltbarkeit – liegt wahrscheinlich an diesem Geschmacks-Niveau, das ästhetisch nicht zu unterbieten ist. Es ist nämlich das Niveau des Schmeckens selbst, der Sinneslust und Unlust, des Ekels und des Genusses, aber es ist nicht das höhere Niveau des ästhetisch reflektierten Urteils über den Geschmack. Diese – von Kant in der Kritik der Urteilskraft getroffene – Unterscheidung zwischen “Sinnengeschmack” und “Reflexionsgeschmack” – ist insofern fundamental, als sich über den “Sinnengeschmack” bekanntlich nicht streiten läßt, sehr wohl aber über die ästhetischen Urteile, ob etwas schön oder häßlich, proportional oder grotesk sei. Die höhere Etage des “Reflexionsgeschmacks” wird von endart sozusagen instinktsicher,…