Eine kleine Geschichte des Visuellen
In ihrem neueren Buch “Kunstvolle Wissenschaft. Aufklärung, Unterhaltung und der Niedergang der visuellen Kultur” (MIT 1994) untersucht Barbara Maria Stafford, Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Chicago, die Unterhaltungs- und Unterrichtsmaterialien da- raufhin, wie sich die visuelle Komponente im “lange währenden achtzehnten Jahrhundert” (das sie vom Barock bis zur Romantik rechnet) in Relation zur sich gerade entwickelnden Freizeitindustrie niederschlägt: Gegenstände ihrer Untersuchung sind Gebrauchsanweisungen ebenso wie Lehrbücher, künstlerische Bilder und Wunderkammern. Stafford geht es um eine Aufwertung der Rolle, die die “niederen” visuellen Elemente in der Kultur gegenüber den hochentwickelten textuellen und literarischen Quellen gespielt haben, die sie bereits ausführlich wissenschaftlich behandelt sieht. Dabei vertritt sie die These, “daß das abstrakte Denken tatsächlich durch die Herstellung visueller Muster geschult wurde und daß die optische Technik bei schwierigen, abstrakten Inhalten den Lernprozeß häufig erleichterte.” (S. 12) Stafford lokalisiert die Anfänge der visuellen Bildung in der frühen Neuzeit und an den Grenzen zwischen Kunst und Technik, Spiel und wissenschaftlichem Experiment. Ihre Untersuchung setzt mit der oral-visuellen Kultur des Spätbarock ein, ihrem Verfall in der Aufklärung und dem gleichzeitigen Übergang der geistreichen höfischen zu bürgerlichen Beschäftigungen wie z.B. der “Unterhaltungsmathematik”. Im zweiten Kapitel weist sie nach, daß viele Formen von Zerstreuung ursprünglich entwickelt wurden, um sich gegen Betrug und Schwindel zu wappnen. Das Wunderbare, Außergewöhnliche und Besondere wird als Ergebnis einer Geschicklichkeit aufgefaßt, die Fragen nach den Begriffen der Authentizität und der Täuschung aufwirft. Deshalb erhalten in dieser Epoche, in der Spezialisierung und Professionalisierung erst im Entstehen begriffen sind,…