Michael Habt
Ein Wilder unterm Weihnachtsbaum
Ein Tiger unterm Weihnachtsbaum? Die smaragdgrünen Augen, in denen der Schein von Weißtanne und Wachskerze feurig glimmt, das gelb-schwarz gestreifte Fell – ein Daniel Buren ganz aus Natur, mit chromosomenbedingten Unregelmäßigkeiten, aber dafür exotischer und fast schon exklusiver. Zudem ist so ein Tiger ein haptisches Erlebnis. Aber riskant. Das wilde Tier kann das Leben kosten. Eine Katze, domestizierter Abkömmling des Dschungelbewohners, ist auch kein wahrer Ersatz. Wenn ein Tiger das Augenlied hebt, signalisiert das gehobenen Anspruch, bei einer Katze bedeutet es allenfalls Kitekat. Und nicht jeder ist so genügsam wie Günter Grass, der sich zur Weihnacht eine »Rättin« schenken läßt.
Wozu überhaupt ein Tiger? Es gibt sublimere Formen, Luxus und Gefahr zu vereinen. Etwa wenn ein mit allen Fährnissen vertrauter Einzelkämpfer im Großstadtdschungel, kurz: wenn ein »Junger Wilder« Kunst macht. Und zwar anspruchsvolle, edle Kunst. Kunst, die man als schöne Bescherung unters geschmückte Bäumchen legen kann, die auffällt, ohne jemanden anzufallen. Die aufstößt, ohne jemanden anzustoßen.
Der deutsche Künstler Salomé hat solche Kunst vollbracht. Freilich bedurfte es dazu erst eines Gutteils an Kulturarbeit, zumal dieser »Junge Wilde« vor zwei Jahren noch als obsessiv, spontan und rücksichtslos galt. Wieder Tiger, will auch der Wilde seinen Dompteur. Salomé fand den Veredler seiner ungezähmten Triebe in der Firma Rosenthal. Ein Unternehmen mit geistigem Hintergrund: »Von der Einzigartigkeit menschlicher Ideen und vom Zeitpunkt ihres Entstehens handelt die Philosophie der Rosenthal Studio-Linie: Nur das Echte seiner Zeit behält seinen Wert und bleibt Zeugnis seiner Wirklichkeit; nicht die Imitation.« Das Echte unserer Zeit…