Ein neues Menschenbild?
Als berühmter Hirnforscher gehört Wolf Singer zu jenen Wissenschaftlern, deren Aussagen in den verschiedensten Disziplinen – von Kunst bis Philosophie – ein breites Echo finden. Dabei gibt es nicht wenige, welche die Expansion der Biologie auf andere wissenschaftliche Gebiete misstrauisch beäugen. Einer von ihnen, der Philosoph Lutz Wingert, kommt im ersten Beitrag von “Ein neues Menschenbild?”, eine Kompilation von Interviews (u.a. ein Gespräch in KUNSTFORUM Bd. 124), auch gleich zu Wort.##### Stellvertretend für viele seiner Kollegen ist er der Ansicht, dass die Welt der sinnhaften Konstruktionen (Aussagen, politische Ideen, Geld etc.) Gegenstand der geisteswissenschaftlichen Diskussion bleiben sollte. Wenn Biologen wie Wolf Singer aber die Entwicklung kognitiver Strukturen beim heranwachsenden Menschen beschreiben können, dann betrifft diese Erkenntnisse aber die Vorstellung vom Ich insgesamt. Zentral ist hierbei die Frage nach dem freien Willen, der traditionell dem Ich zugeschrieben wird. Anders die sogenannte Zombietheorie, laut der Menschen wie gut adaptierte Maschine funktionieren und das menschliche Bewusstsein nur periphere Bedeutung besitzt. Singer schlägt in dieser Debatte einen Mittelweg ein, wenn er annimmt, dass man auch bei einem scheinbar absichtlichen Verhalten, z.B. einer “freien” Richtungsänderung, letztlich den Zuständen, die vom Gehirn zuvor erzeugt wurden, folgt, und zwar nicht infolge äußerer Reize, sondern der ständig wechselnden Zustände des Gehirns. Als Kulturwesen habe der Mensch das Konzept des freien Willens irgendwann im Dialog der Gehirne entwickelt und an spätere Generationen weitergegeben. Es mutet fast pragmatisch an, wenn er fortfährt: “Beim freien Willen ist es doch so, dass wohl fast alle Menschen unseres Kulturkreises die Erfahrung…