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Gespräche mit Künstlern · von Heinz-Norbert Jocks · S. 254 - 277
Gespräche mit Künstlern , 1994

Jörg Immendorff:
»Ein Künstler ist kein Kopf voller Ölfarben, die er mit sich rumschwappt.«

Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks

Der 1945 geborene Jörg Immendorff, neben Lüpertz, Penck oder Baselitz im Ausland als typischer Repräsentant Neuer Figuration aus deutschen Landen bekannt geworden, ist weder ein Wüterich der Leinwand noch ein Maler um der Malerei willen. Aus Unbehagen an gesellschaftlichen Bedingungen wagte er eine engagierte Malerei mit Blick auf die durch die Berliner Mauer symbolisierte Teilung seines Landes. Als er 1966 in eher plakativer Form sein “Hört auf zu malen” auf die Leinwand schmierte, führte er die eigene Arbeit ad absurdum. Mit einer Malerei purer Selbstgenügsamkeit wollte er brechen. Seinem Willen zur Parteilichkeit und seinem Wunsch, im Sinne der Masse zu agieren, folgten um 1974 produktive Zweifel an einer Vereinnahmung des Künstlers durch Parteiinteressen. In der Erkenntnis, daß Kunst keine Veränderungen bewirke, fand er zu seiner Furore machenden Bilderfolge “Café Deutschland” als Gegenposition zu Renato Guttusos “Caffè Greco”. In einer Allegorie voller Anspielungen im Gestus einer Erzählung sieht man, wie er die Hand durch die Berliner Mauer streckt, aber auch die Säule mit dem Porträt Pencks vor dem Brandenburger Tor, den runden Tisch mit Honecker und Schmidt sowie die gespenstisch anmutende Szene des hakenkreuzschwingenden Adlers, der bedrohlich über Tanzpaaren schwebt. Hier ist ein auf Zeitgeschichte reagierender Ikonograph am Werk, der noch nicht am Ende seiner künstlerischen Fähigkeiten ist.

*

H.-N. J.: Ihre Kunst streift immer auch politische Zusammenhänge.Woraus entwickelte sich Ihr Ansatz, Kunst im Lichte der Politik zu verstehen?

J. I.: Mein Verhältnis zur Politik als Künstler entsprang einem Interesse an Arbeitsumständen, von denen ich mich an der Kunstakademie eingeengt fühlte. Unbeleckt von allem, hatte ich da weder ein großartiges Interesse an Partei- noch an Weltpolitischem im Sinne gesellschaftlicher Veränderung. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung, wo Süsterhenn sprechen wollte. Damals verantwortlich für die Aktion “Saubere Leinwand”, kümmerte er sich darum, daß in Film und Literatur Dinge, die der CDU nicht paßten, nicht vorkamen. Zu diesem Vortrag gab es ein Objekt von mir: ein Leinwandbild mit reingeschnittenem Loch und einem darunter gemalten Adler mit rauszeigender Schwinge, mit der Aufschrift: “Süsterhenn, verlassen Sie Deutschland.” Durch dieses Identifikationsobjekt konnte man den Kopf stecken, um sich mit dieser Forderung einverstanden zu erklären, wie es Beuys, ich und andere auch taten. Nach dieser praktisch-politischen Aktion fertigte ich für einen Aufruf deutscher Schriftsteller zum Vietnamkrieg eine Unterschriftenliste mit Deutschlandfarben und blauem Adler an, die von Blinky Palermo, Beuys und meinen Klassenkünstlern unterschrieben wurde, ohne überhaupt zu wissen, wo ich die hinschicken sollte. Das war eher eine Parteinahme und, soweit ich mich erinnere, das erste Mal, daß sich ein Kunststudent in Verwicklung mit seiner Arbeit zu einem Politikum äußerte. Es empörte mich, daß ein großes Land so ein kleines niedermachen wollte. Das alles geschah ohne theoretischen Backround.

Hatten Sie den Eindruck, daß das mit Kunst eher als mit Texten zu machen war?

Die Frage stellte sich gar nicht, denn ich wollte gar kein politischer Künstler werden. Ich machte meine Kunst als jemand, den, da er weder ein Trottel noch ein Unsensibling war, Politisches nicht kalt ließ. Ein Künstler ist kein Kopf voller Ölfarben, die er mit sich rumschwappt. Bilder wie “Bleib nicht länger hier. Das ist unser Land” lassen sich als antiautoritäre Aktionen definieren. Leider neigen wir immer dazu, alles zu vereinfachen und es posthum in irgendwelche Schubladen zu packen. Fragen wie Ihre jetzt sind mir nicht neu, insofern ist das eine gute Gelegenheit, vorhandene Mißverständnisse auszuräumen, um zu verhindern, daß die Rezeption weiter in eine falsche Richtung läuft. Jeder analysiert, wenn er zu arbeiten anfängt, was ihn stört, negativ anreizt, verärgert oder positiv beschwingt. Ich fragte nach dem Genügen der Motivation, und es gab Dinge, die ich gleichermaßen ernst genommen habe. Wenn ich Arbeiten unter dem Titel “Verbaute Modelle” zeigte, dann war das ein Signal gegen ein dumpfes, alte Riten nachplapperndes Gebaren, wobei ich gar nichts gegen eine anhand von Objekten vollzogene zeichnerische Ausbildung hatte. Gewisse Riten wollte ich durchbrechen, weil bei mir ganz verborgen, auch schüchtern der Anspruch war, eine neue Tür für die Kunst aufzustoßen. Da war ich um die Siebzehn, also in einem Alter, wo man sich selber mit lauten Aktionen ermutigt und dabei viel entdeckt. Andere Aktionen mit mehr oder weniger politischer Dimension – eher von dem noch nicht so massiv ausgeprägten Bewußtsein eines Künstlerindividuums bestimmt – hatten mit Parteipolitik oder Ideologie nichts zu schaffen. Ich hing Wunschvorstellungen,Träumen oder Klischees nach. Mit Paris hatten die zu tun, der Bohemien-Existenz, dem Existentialismus, dem Willen, aus den Zwängen elterlicher Vorstellungen auszubrechen, und der Abneigung, das anzustreben, was Schulfreunde als Lebensziel für sich anvisierten.

Vor diesem Hintergrund scheint mir Arthur Rimbaud, von dem ich gerade ein Buch auf Ihrem Tisch liegen sehe, wichtig zu sein.

Rimbaud war bereits damals einer meiner Lieblingsautoren, aber auch Garcia Lorca oder Jean-Paul Sartre. Es wäre jedoch eine Geschichtsklitterung, behauptete ich, daß ich damals über irgendein tiefes Theorieverständnis verfügte. Ich war kein gestandener Existentialist, sondern dermaßen auf meine Zeichnungen und Bilder fixiert, daß das Arbeiten in Erwartung von Beuys’ oder Theo Ottos Kritik den Rhythmus der Tage definierte: also keine Spur von Überblick. Von einem großen Leuchtturm aus reflektierte ich meine Aktivitäten gewiß nicht. Alles drehte sich um Fragen wie: Wo stehe ich? Wer umgibt mich? Wo bekomme ich Nahrung her? Was reizt oder ärgert mich? Mit der Arbeit ging es ganz langsam vorwärts. Beuys gab manchmal vollkommen unklare Kommentare ab, beschränkte sich auf kurze Ausrufe wie “Gut, gut” oder “Scheiße, Scheiße”, wodurch er einen dazu zwang, nach Kriterien und danach zu fragen, was er überhaupt meinte. Einmal war ich mit einem Bild so unzufrieden, daß ich es mit dicken Borsten und dünner Wasserfarbe überpinselte. Ich beabsichtigte, das Bild zu zerstören. Doch Beuys riet mir, es so zu lassen. Zuerst verdutzt, leuchtete mir hinterher ein, daß sich Farben ganz anders einsetzen lassen. Ich erfuhr von der Ausdehnung und Erweiterung malerischer Möglichkeiten.

Was war auf dem Bild zu sehen?

Ein Militärflieger. Mich reizten damals diese Motive aus privater Umgebung, da mein Vater bei der Bundeswehr war und ich mit sehr viel Kriegskrimskram wie Zinnsoldaten und Militärspielzeug aufwuchs. Zudem gibt es die etwas mysteriöse Familiengeschichte vom Großvater in Afrika.

Sind malerische Mittel für Sie Mittel zum Erzählen?

Das wird behauptet und stimmt auch. Im Grunde sind es große Texte. Wie man Musik optisch erfahren kann, so lassen sich meine Arbeiten wie Bilderromane oder imagiäre Comic-Hefte lesen. In der Tat mußte ich mich immer disziplinieren, weil ich stets zu viel auf der Zunge hatte. Doch waren meine Anfänge gar nicht so erzählerisch wie mein späteres “Café Deutschland”, wo ich Kompakteres anstrebte. Die ersten Arbeiten stellten dann nur Babys, einen Adlerkopf oder zwei kämpfende Ritter dar. In einem Klärungsprozeß stand ich, wobei ich mich keiner anderen künstlerischen Leistung verpflichtet fühlte. Nie war ich versucht, etwas aufzugreifen oder mich irgendwo einzuklinken. Statt dessen entwickelte ich meine eigene Sprache, meinen eigenen Stil mit eigenem Stempel: jenseits von Vätern, Vettern, Schwägern, Omas oder Tanten.

Sie haben von sich gesagt, mehr optisch zu denken.

Mir macht es immer weniger Spaß, irgendwas, was ich irgendwo gesagt haben soll, zu untermauern. Ich gehe davon aus, daß ich eine wahnsinnige Bandbreite von Ansatzpunkten habe: vom Reduzieren bis hin zum Überladen der Fläche. Stets stehen Bilder und deren Ausgangspunkt im Mittelpunkt, egal, ob ich nun Stalin, Lenin, Künstlerfreunde, die für mich Energien bedeuten, oder eine Biene gemalt habe.

Wie hat man sich überhaupt den Bildfindungsprozeß vorzustellen?

Das ist auch so eine Rezepte-Austauscherei. Ich weiß gar nicht, ob das ergiebig ist, denn es rüttelt nicht am Ergebnis. Wenn Sie die simpelste aller Ideen übertragen, haben Sie immer einen Kontrahenten, der immer das ist, was entweder auf einem Bild übrigbleibt oder eine Zeitlang sich dort behaupten konnte. Was Sie am Ende absegnen, entspricht oft nicht der vorhergegangenen Vorstellung. Aber es ist ein Gleichklang zu spüren, denn sonst würden Sie das Bild nicht signieren. Den direkten Weg von der Skizze zum fertigen Produkt in einem ungebrochenen Prozeß kenne ich nicht. Mit den Jahren nehmen das Repertoire des Handwerklichen und die Erfahrung zu, mit Farben umzugehen und zu dramaturgisieren.Was man gemeinhin Bildaufbau nennt, das kam dann immer von außen. Ohne es mir bewußt vorzunehmen, setzte ich gewisse Figuren mittig und steuerte alles auf irgendeinen Punkt zu. Daß eine Dramaturgie, verschiedene Achsen, also Bezüge, auszumachen sind, das passiert mitunter gar nicht bewußt. Malen kann ich mir nicht als sezierbaren Akt vorstellen.

Auffallend seit “Café Deutschland” ist der Blick auf öffentliche Räume der Kommunikation, in denen Szenen sich vereinzeln, deren Zusammenhang sich nicht auf einmal herstellen läßt. Ist überhaupt beabsichtigt, daß sich ein Zusammenhang erschließt? Handelt es sich nicht vielmehr um fragmentarische Setzungen. Was bedeuten Räume wie Cafés oder Bars für Sie? Ein Weg von der Enge kleinbürgerlicher Wohnzimmer?

Weder “Café Deutschland” noch davor Entstandenes sind ideologische oder moralische Attacken, sondern für mich gar nicht mehr überschaubare Kettenglieder, die ich aus heutiger Sicht als Reisestationen wahrnehme. Im nachhinein sprach ich dann von “Ready-mades de l’histoire”. Wenn Marcel Duchamp ein Fahrrad oder ein Pissoir zum gegen die Wirklichkeit zu richtenden Kunstwerk deklarierte, so haben mich beispielhafte Situationen wie die Teilung Deutschlands angezogen. Ich habe versucht, aus einer antiautoritären wie antidogmatischen Position heraus mich von diesen Deutschtümeleien zu befreien, obwohl ich dann auf das politische Feld maoistischer Couleur gerutscht war, wo ich mich exzessiv austobte und in einen Prozeß der Unterordnung unter Dogmen geriet. Nehmen wir einmal dieses als visonär gefeierte Pilotbild, wo ich mit der Hand durch die Mauer gehe, so habe ich da wegen der größeren Spannung eher meine Wünsche, Deklarationen oder Unzufriedenheit mit dem Zustand einem Blumenarrangement oder einem Porträt vorgezogen, zumal sich da die Zerrissenheit verdeutlichen ließ. Ich stellte die zwei Weltblöcke sowie die beiden deutschen Teile als Stoßstangen zweier Weltautos dar, nämlich als West- und Ostauto, um dann von der globalen zu einer privaten Sicht überzugehen. Es handelte sich um individuelle, keinem programatischen Anspruch verpflichtete Äußerungen.Über die Freundschaft mit Penck erlebte ich das Zerissene im Einzelnen so leibhaftig, daß es gar nicht mehr des theoretischen Wasserkopfs bedurfte, weil es gelebt wurde. Zudem wirkt sich da mein Problem aus, den Spießer in mir mit einer bestimmten Praxis der Malerei zu bekämpfen. Das entsprach meiner Befrei- ungsreise oder meiner Suche. Über eines läßt sich nicht hinwegsehen, daß selbst, wenn es keine Mauer mehr gibt, andere Mauern auftauchen. Das ist ja nun wirklich eine Prozedur und keine Findung eines idealen Zustandes.

Man könnte eine Analogie zu Sartre herstellen, dessen Roman “Der Ekel” und philosophisches Hauptwerk “Das Sein und das Nichts” darauf zielten, aus dem Gefängnis bürgerlicher Konformität auszubrechen. Diesen Versuchen folgte die Annährung ans Politische.

Richtig.

Bei Sartre kommt es mir so vor, daß er, sosehr er auch ein politischer Mensch wurde, diese Form der Existenz gegen Kleinbürgerlichkeit im Sinne seiner Wahl setzte, wonach sich vorgefundene Bedeutungen individuieren lassen. Das entspricht doch Ihrer Haltung?

Das ist sicherlich nicht falsch.

Eine andere Frage: Ist man Künstler nur vor der Leinwand und ein anderer, sobald man von ihr abtritt?

Ich lasse mich nicht wie eine Figur aus Legobausteinen willkürlich auseinderpflücken. Sicherlich bin ich Künstler, weil ich Bilder male, aber wenn ich keine mache, bin ich nicht plötzlich Bauer oder Metallarbeiter. Den Sinn, das zu trennen, sehe ich nicht. Man ist nicht einfach zerlegbar, das ist schon eine subtile, feinnervige Angelegenheit, die mehrere Sinne berührt. Von daher läßt sich das nicht abkoppeln, so, wie wenn man sagt: Abends nach der Arbeit bin ich privat, so ein Blödsinn. Meine Arbeit ist nie und nirgends erledigt. Jede Beschäftigung mit der Sache ist eine Vorstufe.

Viele Künstler reden kunstimmanent, während Sie Kunstwerke zur Illustration Ihres Denkens benutzen.

Mir behagt dieser Begriff der Illustration nicht. Ich denke in Bildern. Das trifft die Sache am ehesten, und dahinter ist Neuland. Am liebsten sind mir augenblicklich Begriffe wie Suche oder Reise, die über das Leben hinausgeht. Ich stelle Arbeitsmaterial in dem Sinne zur Verfügung, daß es vom Betrachter aufgegriffen werden kann, wobei damit ein hochangesetzter Anspruch mit entsprechendem Schwierigkeitsgrad verbunden ist. Nicht um Illustration geht es, sondern darum, daß die Wahrnehmung des Individuums strapaziert wird, dem kein ästhetisch-genüßliches Behagen an der Sache bereitet werden soll. Man muß sehen, was der Motor hergibt. Hinzu kommen Fragen wie: In welcher Landschaft stelle ich solche Ansprüche? Wie sieht die Situation aus? Konstatieren muß man, daß diese höchst unangenehm ausschaut und sich nicht eingleisig erledigen läßt. Die Kunst ist so ernsthaft krank, als befände sie sich auf der Intensivstation. Diese großen Worte entsprechen meinen Empfindungen im Hinblick auf die Euphorie der 80er Jahre, die sich inzwischen gelegt hat, und auf die verpaßte Chance, auch die der Medien, mit Kunst ein breiteres Publikum zu erreichen, was ja nichts Schlechtes ist. Die stärkere Nachfrage hatte negative Auswirkungen, insofern sich viele Künstler von Erfolgen blenden ließen, die keine waren und zur Positionsschwächung führten, insbesondere was die nachwachsende Künstlergeneration angeht. Eine Sache, die mir gar nicht gefällt, ist die Trennung zwischen jungen und alten Künstlern, denn für mich ist Goya ewig jung. Mit junger Kunst meine ich nicht das Alter des Künstlers, sondern bestimmte Prinzipien, was parteienmäßig klingt. Da sehe ich eine Ernsthaftigkeit, nicht frei von Ironie, Humor und Freude an dieser Reise. Wer reist, kann auch Spaß haben.

Was versetzte die Kunst in diese gefährliche Lage?

Die Tatsache, daß von Künstlern das Materielle und das Gesellschaftliche zu ernst genommen wurde, obgleich weder ihr noch dem Individuum die ihr zugedachte gesellschaftliche Rolle gerecht wird. Diese Anpassung der Kunst an einen gesellschaftlichen Auftrag ist passiert, ohne ihr zum Vorteil zu gereichen. Meine Kernmotivation ist mit dem vergleichbar, was Sie über Sartre sagten. In den Studententagen opponierte ich gegen vorgefundene, von mir als Hemmschuh erlebte Bedingungen, gegen Anpassung, Klischee und die Rolle des modernen Künstlers, Höfling zu spielen. Die Rolle des Marktes wurde so übergewichtet, daß die Dominanz des Materiellen zu einer Verdünnung der zu Dekor degenerierten Kunst führte.Wichtige Fragen der Kunst seit ihren Anfängen werden nicht mehr gestellt. Ihre philosophischen Energien und das, was Rimbaud in “Die Farbigkeit der Vokale” artikulierte, kommt zu kurz: also die alchimistische Suche nach dem Gold. Nicht das irdische, sondern das überirdische, also das Seelen-Gold ist dabei gemeint. Das drückt am besten Rimbauds prinzipieller Anspruch des Künstlers aus, halb Mensch, halb Engel zu sein, insofern er sich über rein Profanes erhebt und gleichzeitig darin verstrickt bleibt.Talent zu haben, reicht da nicht mehr aus.Vielleicht verhält es sich so, wie Baselitz sein Prozedere als Trüffelschwein beschreibt, das sich mühsam und unterirdisch statt locker leicht tänzelnd bewegt.

Ist für Sie der Künstler ein Gralssucher?

Das wird mir zu heilig jetzt. Man muß nicht noch den Gral einführen. Es reicht, das Gedicht zu zitieren, um das auszudrücken, und was die ernste Lage der Kunst angeht, soll man sich auch nicht scheuen, das so zu formulieren. Ich kann nicht aus Freundschaft oder Angst so tun, als wenn alles in Ordnung wäre. Was soll das? Mein Vorwurf, der sich auch gegen mich richtet, mündet in die Forderung, jetzt und in Zukunft wieder verstärkt künstlerisch zu hantieren. Also, es kommt mir so vor, als gäbe es auf der Eröffnung keine Künstler. Die Art, wie miteinander umgegangen wird, hat das Spielerische verloren. Das läßt sich alles nicht einfach mit großem Besen vom Tisch fegen, sondern man muß sich am besten – wie bei anderen Fragen auch – an die eigene Nase packen und erst einmal im eigenen Atelier Ordnung, besser konstruktive Unordnung, schaffen. Wenn man, statt nach vordergründigen Spielereien auszuschauen, die Problematik, in der man sich befindet, als Thema wählt, das dann Wellen schlägt, dann ist das eine guter Ansatz.

Die Auflösung des Kunstbegriffs hat auch mit Kunstimmanentem zu tun, insofern mit der Pop-art sich Leben und Kunst vermischten. Jeff Koons, der Spieler der Schwellenlosigkeit, ist da nur ein weiterer Schritt in Richtung einer Auflösung letzter Differenzen.

Eine Sache, die bei Warhol anfing. Die Verdünnungsstrecke, die von Duchamp über Warhol bis hin zu Jeff Koons als Extrem verläuft, interessiert mich nicht. Mit diesem offensiven, propagandistischen und ernst zu nehmenden Beitrag zur Kunst – für den ich sogar dankbar bin, wenn mir das auch schwer rausrutscht – kann man wie mit einer Warnleuchte hantieren. Nur ist das nicht mein Ding. Am frühen Jeff Koons kann ich zwar noch positive Züge entdecken, aber bei den Oberammergauer Holzschnitzereien verliere ich die Lust, mich damit überhaupt zu befassen.

Zum Zeitpunkt der Erneuerung war das, was Warhol tat, etwas Lobenswertes, da die Kunst Revolutionierendes, und nicht von vornherein falsch. Es kommt mir so vor, als wäre das danach Erfolgte mit der Verkehrung der Französichen Revolution in ihr Gegenteil zu vergleichen. Ihr Geist des Fortschritts verlor sich.

Ich kann das nicht so wie Sie sehen. Neben Warhol gab es auch Beuys, Baselitz und andere, die ganz andere Wege einschlugen. Warhol fungierte als Spiegel oder adäquater Ausdruck zu einer Zeit, als der Kapitalismus auf dem Zenit stand. Er erhob Warengegenstände zur Kunst, trieb einfach dieses Spiel, um Krusten aufzubrechen. Wenn ich so etwas sage, geht es mir nicht darum, recht zu behalten. Ich bin kein großer Kunsttheoretiker, der klassifiziert. Mir leuchtet ein, woher das kommt. Aber es handelt sich um spezielle, mir eher mißfallende Arrangements eines Künstlers, der nicht nur mit dem Reiz des Banalen, sondern auch damit lockt, auf dem Stand seiner Zeit zu sein. Mit Warhol kann ich immer weniger anfangen, denn in all dem, was sich in seinem Fall beschreiben läßt, ist nichts von dem enthalten, was ich bei Rimbaud finde, bei dem keine Entleerung des Menschen zu befürchten ist. Warhols These, wonach jeder für fünf Minuten berühmt sein kann, kommt mir vor wie eine Fluxus-Anleihe oder eine Beuys-These, wonach jeder ein Künstler ist. Bei Beuys ist das produktiv, bei Warhol entleerend gemeint. Spannend war das Bündnis zwischen Warhol, dem Modernen, dem Vervielfältiger, dem Entleerer, der in die Kunst einführte, was die Gesellschaft sowieso schon praktizierte, und Beuys, dem verstaubten Schamanen, der mit ugly material arbeitete, ein aufschlußreicher Gegensatz. Es scheint mir, als sei Warhol auf der Suche nach dem gewesen, was Beuys zu bieten hatte. Etwas Verstaubtes und Dreckiges wollte er haben – als Waffe, also als das, was bei Schwitters als das häßliche Bild vorkommt. Das Konforme besaß dieses Zweischneidige. Als Warhol anfing, Beckenbauer zu porträtieren, da wurde es affig, und die Autoserie langweilt mich nur noch, während mich die Mickey Mouse und die Coca-Cola-Flaschen beeindruckten.

Warum?

Weil dort die Möglichkeit gegeben war, ins Geschehen des Alltags einzugreifen. Zu dieser Zeit der Faszination, also während des Studiums, fühlte man sich als Einzelproduzent, also als Künstlerindividuum, streckenweise nutztlos, auch altertümlich. Im Endeffekt ist Beuys’ Werk ein stärkerer Kontrapunkt zur Verelendung der modernen Gesellschaft, die alles Menschliche über Bord wirft und nur mittelmäßige Kreaturen gebärt, die mit sich nichts mehr anfangen können und, statt auf der Reise zu sein, nach Materiellem jagen. Alles zielt in dieser vom Informationswesen bestimmten Zeit der Denklosigkeit auf Freizeit und Konsum. Darauf bezogen gab es das in meinen Augen abschreckende Bündnis von dem, was Warhol machte, und dem, was mir an der Realität mißfällt. Wo sich Kunst und gesellschaftlicher Zustand decken, bekommt die Malerei den Charakter von Hofmalerei. Bei Goya, der auch am Hof malte, konnte man noch einen Stachel ausmachen, der bei Warhol fehlte.

Als Sie eben sagten, Warhol interessiert mich nicht, da kamen mir andere Assoziationen.

Ihn kann ich nicht eingleisig bewerten. Eine Aussasge wie die, daß Warhol eine wichtige Figur ist, ist nicht besonders originell. Mich reizt dieser Zwiespalt, der am spannendsten in Konfrontation mit Beuys als Irritationselement zur Zeit meines Studiums war, als er mich bange machte. Auf ihn war ich neidisch, weil er von allen Problemen des normalen Künstlers befreit war. So brauchte er wegen seiner Methode, das einfach abzuziehen, nichts selber zu machen. Zudem wurde er bewundert. Er kehrte das, was es eh gab, um, und das wiederum hatte etwas damals mich irritierend aggressiv Revolutionäres. Einer ganz anderen Generation als der Pop-art zugehörig, näherte ich mich in meinem Angriffsgeist mehr Bakunin, den Anarchisten, Existentialisten und Modernisten. Meine Suche hatte damals gerade begonnen.

Pop-art heißt für Sie was?

Populäres verband sich mit einer sozialen Dimension, insofern konnte die Pop-art mehr als eine Kaufhausnummer sein. Unterstellt man dem Wort einmal Tiefgang, wird Warhols Interesse an Beuys als Gegenpol verständlicher. Damit möchte ich das Thema abschließen.

Dann zurück zu Beuys, dem Sie in Ihrem Atelier ein Bild widmen, wo der Schamane mit leuchtender Lampe auf einem Esel reitet.

Dem zündet Duchamp die Zigarette an.

Die angezündete Zigarette ist mehr als nur eine Zigarette, eher ein Licht, das weitergereicht wird.

Ja.

Bei den Bildern, die vor kurzem im Centre Pompidou ausgestellt waren, fällt auf, daß diese Bilder in großen Räumen zusammengeführte, als Einzelgeschichten deutbare Szenerien enthalten. Die meisten, die darüber schreiben, unterziehen sich oft nicht der Mühe, dem Narrativen auf die Schliche zu kommen.

Das ist eine mir nicht neue Mühsal, die bis auf Rudolf Schmitz, der für die FAZ einen Artikel zur Ausstellung in Den Haag schrieb, fast niemand auf sich nahm. Der hatte als Schreiber eine künstlerähnliche Methode gewählt, ließ die Bilder als Bilder wirken und unterließ es, intellektuell, als Chronist oder als Kunsthistoriker vorzugehen. In einem seiner für “Inter Nationes” geschriebenen Texte, der in Südamerika erschien, fingierte er eine imaginäre Begegnung zwischen Diego Rivera und mir. In vielen meiner Bilder aus letzter Zeit tauchen nicht nur historische, sondern auch lebende Künstlerfiguren auf. Als es vor der Eröffnung in Hongkong seitens chinesischer Künstler Bedenken gab, ob die Anspielungen überhaupt verstanden werden könnten, beruhigte ich sie mit der Feststellung, daß dieses Problem in Deutschland genauso existierte. Je unbefangener jemand sieht, um so stärker rückt er die Bilder in den Vordergrund. Am wohlsten fühle ich mich in der Rolle eines etwas angesägten Wissenschaftlers, der Formeln aufstellt, die nicht aufgehen. Nehmen Sie “Café Deutschland” oder “Café de Flore” als bewußt gewählte Lokalität, so stellen diese so etwas wie eine Klammer dar. Mit der Zeit ist alles subtiler, auch unklarer geworden, wobei alles auf einer großen Tafel geschrieben steht. Darunter auch die Reminiszensen an Sartre, Rimbaud, Heiner Müller, Beuys oder Blinky Palermo. Diese Größen stehen mir als freizuschaufelnde Energien zur Verfügung. Ich zitiere sie, und der Betrachter muß sie für sich entdecken. Von privaten Konstellationen, aus denen andere erwachsen, gehe ich aus.

Mir kommt es nicht so vor, als erfordere die Komposition diese Form der Räumlichkeit, sondern als sei der Raum Ausdruck einer Lebensform und insofern Ort der Assoziationen. Es sind wie der alte Düsseldorfer Ratinger Hof Ihnen vertraute Räume, mit denen sich der Ausbruch aus einer auf das Atelier beschränkten Künstlerexistenz verbindet. Es hat auch mit Öffentlichkeit, mit der Welt eines nicht nur im Privaten verweilenden, sondern nach außen drängenden, also soziale Kontakte knüpfenden Wesens zu tun.

Kneipen sind mir lieber als Parteien, und es gab Geburtstage, die ich aus Ironie und Unlust als Parteitage ausgab. Ich behauptete, eine Einmannpartei zu sein, weil mich alles auf dem Parteiensektor Passierende anödet. Mein 39. Parteitag im Ratinger Hof war nichts anderes als eine Ausstellung mit Ölbildern an meinem Geburtstag in einem öffentlichen Raum. Dazu lieferte ich keine Theorie. Im übrigen denke ich auf der einen Seite, daß meine Bilder so klar sind, daß auch Chinesen sie mühelos verstehen. Auf der anderen Seite sind sie überhaupt nicht klar, ein der Kunst eigenes Wechselspiel.

In öffentlichen Räumen Ihrer Wahl ist nicht alles Dargestellte auf einmal nachvollziehbar. Der Lehmbruck, der da marschiert, symbolisiert was?

Aber das ist auch ein Knieen. Die Anlässe sind sekundär, die Bilder primär. Man muß darauf hinweisen, daß diese Methode des Auseinandernehmens nicht ergiebig ist. Man kann sagen, daß es für den Raum einen ganz speziellen Grund gab.Unzufrieden mit dieser einäugigen Weise, “Café Deutschland” zu betrachten, die mich zum Deutschland- oder Wiedervereinigungsmaler stempelte, ging ich ins Exil. Daß die Mauer fiel, lag ja auch nicht an uns, denn weder wir noch die Leipziger Montagsdemonstranten, deren Protest zu einer Revolution hochstilisiert wurde, hatten die Entscheidungsgewalt. Ohne daß den Russen das in den Kram gepaßt hätte, wäre nichts dergleichen geschehen. Andere Interessen haben das forciert. Eine Debatte zur Vorbereitung dieser Veränderung hat über Jahrzehnte in der Bundesrepublik nicht stattgefunden. Augenblicklich ist mir das Nachdenken über die Wiedervereinigung unerträglich, weil ich diese weder begreifen noch annehmen kann.

Es gibt Wiederholungen wie diese Café-Szenen.

Viele behaupten sogar, wie es in Hongkong durchklang, daß diese Café-Zitate etwas Nostalgisches hätten. Das sind so Schlachtschiffe, die ich entworfen habe, aber es ist nicht möglich, die Bilder darauf zu reduzieren, wenn ich sie auch bewußt gewählt habe und mich in diesen Cafés wohl fühle. Ich neige dazu, die Aufmerksamkeit auf andere Aspekte zu lenken, damit das nicht so eindimensional wird, obwohl es in den Cafés nie eingleisig zugeht. Zu Recht wurde dieses Motiv auf meine Theatervergangenheit bezogen. Das ist alles ganz prima, und zu dem bin ich auch bereit.

Der Ausgang war, daß Sie sich auf das Motiv der Cafés nicht fixieren lassen wollen.

Wie gesagt, mir ist alles recht, weil ich alles in diese Reise einbringe, auf der am Wegesrand Cafés liegen, in denen Sie pausieren oder Kräfte sammeln, um sich wieder auf den Weg zu machen in guter, anregender oder weniger angenehmer Begleitung. Alles ist da drin. Ein 1992 entstandenes Hauptbild der letzten Jahre, nämlich “Reise auf Adler”, umreißt eine Station der Reise, die andere ist das Bild “Der Gynthianer” von 1992/93. Stellte man eines Tages beide Bilder zusammen aus, so würde das deutlich.

Der Sinn der Reise ließe sich mit dem Begriff der Er-Fahrung untermauern. Ihre Bilder, die gegengängig unsere Zeit bezeugen, indem sie das “Peer Gynt”-Thema aufgreifen, erscheint wie eine Reise über Schwellen hinweg. Zu dem Wort der Schwelle fällt mir ein Zitat von Walter Benjamin ein, wonach die Schwelle die Batterie ist, an der wir Energie aufladen. Bei Peer Gynt kommt mir die Jahre zurükliegende Inszenierung von Jürgen Flimm am Hamburger Thalia-Theater in den Sinn. Er sah in dieser Figur den Tagträumer und Poeten, der, wenn er sich die Mutter wegwünscht, das Mühlrad herbeisehnt, das dann auch angefahren kommt, damit er diese darauf absetzen kann, weil er sich von ihr als Über-Ich emanzipieren will. Das war nicht so platt, dumm, verkannt und umgesetzt, wie es Michael Gruner in Düsseldorf tat.

Peer Gynt ist keine norwegische Folklorenummer und auch kein Bergtrottel.

Was bedeutet der Einstieg in den “Peer Gynt”-Stoff für Sie?

Mir geht es um die Frage nach dem Gyntischen Selbst, seinem Denken und Sehen. In diesem Zusammenhang gefällt mir das mit der Schwelle ja ganz gut. Es gibt ein ganzes Paket interessanter Beschreibungen, angefangen mit Picabia, der das Steuer rumreißen will. Das “Café Deutschland”-Bild ist nicht allein aus inhaltlichen Gründen interessant. Ich will nicht die Bilder entleeren. Das Inhaltliche scheint wie die Energie immer durch. Wie eine Landschaft erscheinen mir die Tischdecke und das Seidenkopfkissen der entblößten Maja von Goya. Für mich ist so ein Requisit wie das Seidenkopfkissen mehr als nur ein Requisit. Wie eine Ecke des Nordpols, auf der die zur Landschaft gewordene Dame liegt, kommt es mir vor. Eines muß ich auch jetzt wieder sagen: Da, wo die Augen des anderen einsetzen müßten und sollten, endet mein begleitender Job der Deutung.

Sartre sagt in seinem Aufsatz “Was ist Literatur”, daß ein Kunstwerk nie ohne Leser existiert und der Leser zu der Freiheit verdammt ist, von seinen Perspektiven auszugehen. Er muß jenen Punkt herausfinden, wo er eine Verwandtschaft spürt.

Es kann gar nicht anders sein, wenn er eine Intensität in der Wahrnehmung erreichen will. Wer etwas begreifen will, erreicht das nur auf dem Weg der Ichbeleuchtung oder Ichbetrachtung. Wo das nicht geht, findet nur noch eine Aneinanderreihung von irgendwelchen netten Sätzchen und Begriffchen statt. Das Ganze macht nur Sinn, wenn etwas Beseeltes im Spiele ist, ansonsten ist es vollkommener Unsinn.

Zurück zu Rimbaud, bei dem sich der Hang zum Aufrührerischen auf ein Mehr an Erfahrung bezieht. Deshalb meine Frage: Geht es Ihnen um ein gelebtes Bild? Wenn Sie Ihr Leben als Reise beschreiben, so sind Bilder Stationen.

Stellen Sie sich einen durch Europa fahrenden Zug vor, vor dessen Fenster ich meine Bilder der letzten Jahre so spannen könnte, daß man gar nicht mehr herausschauen kann, so stimmt das Bild ja nicht mehr. Ich behaupte nicht, daß so eine Reise schnurstracks verläuft, sondern mitunter im Kreis, weil ich sehr früh angelegte Themen wieder aufgreife, und die sind nicht mit Fakten, Zahlen oder Reflexionen über Politik oder Gesellschaft zu verwechseln. Gemeint sind einsame, für sich stehende Elemente, die keinen Zusammenhang benötigen.Wenn ich ein Bild mit Adler- und Pferdekopf gemalt habe, unter dem “Laufen” steht, lassen sich Bezüge zu anderem gar nicht herstellen. Dahinter steht oft der Wunsch, für sich etwas zu klären, und das Beispiel, das dabei mit intensiver Form herausspringt, bleibt Munition, also Anreiz. Es gleicht einer Taschenlampe, die Licht abgibt, oder einem Fahrraddynamo, der sich durch Treten der Pedale in Gang bringen läßt. Das Material, das bisher vorliegt, wird wie jetzt sortiert mit dem Ergebnis, daß Ende des Jahres ein großes Zeichenbuch erscheint. Oft steht das Material auch im Gegensatz, weil sich Brüche abzeichnen. Auf dieser Reise finden sich immer wieder Überraschungskoffer, die man nicht alle zur gleichen Zeit öffnen muß. Überhaupt nervt es mich, mir durch allzu viel Reden über Kunst die Neugierde zu nehmen, und überhaupt klingt mir das alles schon zu sehr nach dem großen Rückblick, so als wäre alles damit erledigt. Für mich geht die Reise weiter.

Bei der Bestandsaufnahme und dem So-Tun, als wäre alles vergangen, fällt mir wieder Sartre ein und die Erfahrung ewiger Erneuerung, die Sie mit ihm als junger Mensch bis heute teilen. Sartre, im hohen Alter von seinem eigenen Clan dazu angehalten, in Würde zu altern, schlich sich immer wieder davon, um mit anderen Gespräche zu führen, was dem Clan gegen den Strich ging. Dieses Ausbrechen hat womöglich etwas mit dem Modus der Freiheit zu tun, dem ständigen Bemerken, daß das, was vorher war, seine Bedeutung verlieren kann. Spielt diese Erfahrung des Existentialismus eine Rolle für Sie?

Dazu kann ich nur ja sagen, und zwar eindeutig. Die Vorstellung gefällt mir und paßt zu dem, was ich eben mit dem Kreis umschrieb. Wir werden nicht als Baby mit einem Raketensatz gezündet, um dann hochzugehen, bis der Raketensatz ausgepowert ist und wir verglühen. Vielmehr verläuft alles im Kreis, so daß man wieder auf Dinge stößt, die, bisher verborgen geblieben, nun entdeckt und intuitiv eingebracht werden. Als hätten wir eine große Vorratskammer oder als würden wir ein Pharaonengrab mit all seinen zum Weiterleben arrangierten Schätzen aufbrechen. Wenn Sie im altägyptischen Museum in Kairo die unmittelbar nach dem Aufbrechen der Gräber gemachten Aufnahmen sehen, erinnert das an Arrangements von Beuys. Die Art der Aufbewahrung der Dinge hatte den Charakter von Benutztwerden und keinen dekorativen, weil die Kampfwagen, die Speere, das Eingepackte oder die versiegelte Nahrung für den Einsatz auf einer neuen Ebene gedacht waren. Das, was in Bildern schlummert, gleicht einer großen Vorratskammer, aus der man neue Nahrung schöpft, wenn man aus anderer Perspektive schaut und das Material unter neuen Konstellationen zu einem neuen Einsatz gerät. Schritt für Schritt gelangt man zu anderen Höhepunkten. In diesem Zusammenhang sehe ich einen Pollock mit seinem bewußt inszenierten Chaos.

Sie malen oft Surrealisten wie de Chirico, Picabia oder Max Ernst oder nennen sehr oft deren Namen, deren Einfluß in frühen Arbeiten spürbar ist. Womit hatte diese surrealistische Orientierung zu tun?

Schauen Sie! Sie machen das ja einfach. Wenn ich von meiner kleinen Wohnung, die ich damals mit meiner Frau hatte, der Chris Reinecke, durch den Hofgarten zur Kunstakademie ging, traf ich jeden Morgen eine Amsel mit weißer Maserung. Mit der unterhielt ich mich immer, und daraus erwuchs dann die Idee für eine Aktion, die ich so nicht ausgeführt habe, aber später Einfluß auf meine Baby-Aktion nahm. Ich wollte mir einen Schnabel umhängen, um mit dem Publikum als Amsel zu reden. Ich bin nicht außen vorgestanden, merkwürdigerweise, sondern war immer drin. Das hat sich bis heute nicht geändert. Es kommt mir so vor, als wenn ich pausenlos als getränkter Schwamm rumrenne, denn ich kann Gedanken zu Bildern schlecht ablegen.

Hat Ihre Auffassung mit einer “Ästhetik des Widerstands” zu tun. Peter Weiss, der diesen Roman schrieb, hatte eine Vorliebe für Kunstrichtungen mit gegengängigem Charakter.

Den Widerstand, der bei mir in früheren Arbeiten so spektakulär ausschaut, führe ich auf das einfache Tun eines Menschen zurück. Mit einem Freund in der Punkphase, der wissen wollte, wie sich mit einem Plakat die Öffentlichkeit nerven läßt, habe ich mich einmal über Provokationstechniken unterhalten. Da behauptete ich, daß die härteste Provokation, auch wenn diese nicht so unmittelbar zutage tritt, sich radikaler Ehrlichkeit verdankt. Die hält kein Mensch aus. Man braucht weder so groß zu rudern noch so große Sprünge zu machen. Selbst eine kleine subtile Zeichnung kann fürchterlich aufregen, davon bin ich überzeugt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß “Les Demoiselles d’Avignon” von Picasso als bewußte Provokation gedacht wurde. Eine Schwelle, an der Quantität in Qualität umschlug, wurde da überschritten. Die Provokation war nicht Ziel, sondern Ergebnis eines Prozesses, der in einem Bild kulminierte. Ohne das kann man das alles vergessen, und natürlich läßt sich das in eine Ästhetik des Widerstandes einordnen. Widerstand leiste ich nicht, indem ich jeden Morgen zu strampeln anfange und mich frage, gegen wen und was ich mich heute wehren kann. Keiner braucht den großen Gegner, weil er immer schon den kleinen Gegner in sich trägt.

Der “Ästhetik des Widerstands” gehört jene Kunst an, die sich von vornherein nicht an das anpaßt, was einen umgibt.

Der Definition brauche ich nichts hinzuzufügen.

Wie schaut Ihre Haltung zu Goya aus? Ist es nicht so, daß Sie mit dem Einklinken von Größen wie Beuys, Max Ernst, Dix oder Duchamp in ihre Bildercollagen deren Mythisierung betreiben?

Zu Goya, seiner etablierten Qualität, etwas zu sagen, kommt mir wie die Wiederholung eines allgemeinen Urteils vor. Ich habe nichts gegen Helden, und Goya ist da nur ein Beispiel. Ich habe Hundebilder gemalt, und da gibt es den Spruch von mir: “Der Hund stößt im Laufe der Woche zu mir.” – “Der Hund” von Goya ist in jeder Hinsicht ein revolutionäres Bild. Ihre Frage, ob ich diese Energien durch Verbildlichung mythisieren will, kann ich nur verneinen. Ich bin gefangen und betroffen, was das Beuys-Zitat angeht. Auf die anderen für mich noch Lebenden, also Aktuellen, bezogen, sehe ich eine erschreckende Deckungsgleichheit, gelegentlich eine Bestätigung. Das Zurückschauen liegt vollkommen auf dem Weg.

Das Fahrradmotiv, das auf andere von Ihnen geschätzte Künstler hinweist, markiert eine Entwicklung.

Also mein Fahrrad: Ich hatte als kleiner Junge ein Fahrrad mit dem Namen “Marke Vaterland”. Für die Centre-Pompidou-Ausstellung habe ich so ein kleines Plakatmanifest mit einem sich im Kreise drehenden Fahrrad entworfen. Ich zeigte ein Fahrrad mit zwei Lenkern, die jeweils in eine Richtung wiesen.Wenn sich das überschenkelt, bildet sich der Davidstern, also das Symbol der Diaspora oder des Sonnensymbols. Das Gold, die Sonne und die Suche sind da vereint, was sich einem Zufall verdankt. Wenn ich mir mein Zwei-lenk-Fahrrad kinetisch vorstelle und drehe, dann liegen in der Drehbewegung zwei Dreiecke übereinander. Die rhetorische Frage “Is it about a bicycle?”, also die Kontroverse Beuys gegen Duchamp, ist auch in meinen Augen eine Abgrenzungs-, Abkoppelungs-und Abnabelungsgeschichte, um eine eigene Positionierung vornehmen zu können. Das Fahrrad, dessen Hinterrad Beuys weiß bemalte, um über schwarze Tafeln zu fahren, hatte Duchamp noch als klassisches Museumsstück deklariert. Von Beuys wurde es als etwas Aktionistisches und Symbolträchtiges begriffen. Ich sehe das als interessante Abgrenzung zu Beuys und nicht als gravierenden Unterschied. Von hier aus läßt sich meine Reise fortsetzen.

Jörg Immendorff, 1945 in Bleckede bei Lüneburg geboren, 1963-64 drei Semester Studium der Bühnenbildmalerei an der Kunstakademie Düsseldorf bei Theo Otto, 1964 Schüler von Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf, 1965-66 Teilnahme an künstlerischen Aktivitäten und Demonstrationen der Kunstakademie, 1968 während der Studenten-Revolte und der Proteste gegen den Vietnamkrieg Bekenntnis zum Maoismus, 1968-70 aktive Mitwirkung an den sog. “Lidl”-Aktivitäten in Düsseldorf zur künstlerischen Selbsterziehung und anderen deutschen Städten, 1968-80 Kunsterzieher an einer Realschule in Düsseldorf, 1977 Begegnung mit Penck, 1979 Ende der Siebziger Engagement bei den Grünen in Düsseldorf, 1982 zusammen mit Büttner, Kippenberger, Penck, Markus und Albert Oehlen Aufnahme der Schallplatte “Die Rache der Erinnerung”, 1982-85 Vorlesungen an den Kunstakademien in Hamburg, Zürich, Köln und Trondheim, 1986 Bühnenbild- und Kostümentwürfe für die Inszenierung der “Elektra” von Richard Strauß am Stadttheater Bremen, 1987 Mitwirkung an André Hellers Mediapark “Luna, Luna”. Lebt und arbeitet in Düsseldorf und Hamburg.
Einzelausstellungen (Auswahl):
1965 Galerie Schmela, Düsseldorf. 1968 Galerie Patio, Frankfurt.1969 “Planungsübersicht einer Arbeitswoche, August 1968”, Galerie Michael Werner, Köln. 1973 “Hier und jetzt: Das tun was zu tun ist”, Westfälischer Kunstverein, Münster. 1978 “Café Deutschland”, Kunstmuseum, Basel. 1980 “Malermut rundum”, Kunsthalle, Bern. 1981 “Pinsel-widerstand (4X)”, Stedelijk Van Abbe Museum, Eindhoven. 1982 “Café Deutschland/Adlerhälfte”, Kunsthalle, Düsseldorf. Ileana Sonnabend Gallery, New York. 1983 Kunsthalle, Düsseldorf. 1984 “Café Deutschland gut”, Kunsthalle Hamburg. Museo de Bilbao, Bilbao. Museum of Modern Art, Oxford. 1986 Mary Boone, New York. 1990 “1981-1989”, Galerie de l`Ecole d`Art, Marseille. 1991 “Malerei 1983-1990”, Museum für Moderne Kunst, Wien. 1992 “Malerei 1983-1990”, Museum of Art, Osaka. 1992 Sonje Museum of Contemporary Art. 1993 Centre Georges Pompidou, Paris. “Malerei 1983-1990”, Pao Galleries, Hongkong, Art Gallery of Beijing International Art Palace, Peking.
Gruppenausstellungen (Auswahl):
1967 “Eine Woche lang in Aachen und Deutsch-Dänische Tage”, Galerie Aachen, Aachen. 1968 “Labor 5 Tage Rennen”, Kunsthalle, Köln. 1969 “Düsseldorfer Szene”, Kunstmuseum Luzern, Luzern. 1970 “Jetzt. Künste in Deutschland heute”, Kunsthalle Köln. 1972 documenta 5, Kassel. 1976 “Attualità Internazionale, XXXVII Biennale di Venezia”, Ex Cantieri navali alla Giudecca, Venedig. “Nachbarschaft”, Kunsthalle, Düsseldorf. “mit, neben, gegen Joseph Beuys und die Künstler der ehemaligen und jetzigen Beuysklasse”, Frankfurter Kunstverein, Frankfurt. 1980 “Les nouveaux fauves – die neuen Wilden”, Neue Galerie – Sammlung Ludwig, Aachen. “L`arte negli anni settanta, XXXIX Biennale di Venezia”, Giardini di Castello, Padiglione Internazionale, Venedig. 1981 “Art Allemagne Aujourd`hui”, Musée d`Art Moderne de la Ville de Paris, Paris.”Westkunst”, Messegelände, Köln. 1982 “Avanguardia – Transavanguardia”, Mure Aureliane da Porta Metronia a Porta Latina, Rom. “4th Biennale of Sydney, Vision in Disbelief”, Sydney. documenta 7, Kassel. “Zeitgeist”, Martin-Gropius-Bau, Berlin. 1983 “New Art at the Tate Gallery 1983”, The Tate Gallery, London. 1984 “Bella Figura”, Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg. “Von hier aus”, Messegelände, Düsseldorf. 1984/85 “Origin Y Visión: Nueva Pintura Alemania”, Museo de Arte Moderna, Mexiko. 1985 “7000 Eichen”, Kunsthalle Bielefeld. Kunsthalle Tübingen. 1985 “1945-1985 Kunst in der BRD”, Nationalgalerie, Berlin. 1986 “Deutsche Kunst im 20. Jahrhundert”, Staatsgalerie, Stuttgart. 1987 “Brennpunkt Düsseldorf”, Kunstmuseum, Düsseldorf. 1988 “Binationale”, Museum of Fine Art/The Institute of Contemporary Art, Boston, Kunsthalle, Düsseldorf. 1989 “Bilderstreit”, Museum Ludwig, Rheinhallen der Kölner Messe, Köln. 1989/90 “German Art of the Late 80`s”, Contemporary Art Museum, Houston.
Veröffentlichungen im KUNSTFORUM:
G. Jappe, J. Immendorff: Vom Sturm im Wasserglas zur Politik, Bd. 20, S. 151. S. Gohr, J. Immendorffs “Cafe Deutschland”, Bd. 26, S. 238. J. Gachnang, J. Immendorffs “Cafe Deutschland”, Bd. 26, S. 241. J. Zutter, Kunst als Resultat kultureller und politischer Energien, Bd. 44/45, S. 341. G. Nabakowski, “Kommen Sie ‘mal einem Punker mit einem Buch!”, Bd. 50, S. 156. M. Hübl, Denk ich an Deutschland in der Nacht, Bd. 70, S. 199. Dirk SchwarzeImmendorff zeichne, Bd. 102, S. 336.

von Heinz-Norbert Jocks

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