Martin Blättner
Ein Frisör aus Lingen – Harry Kramer
Museum Fridericianum und Gesamthochschule Kassel
13.1. – 1.4.1991
Dezente Reizsignale, die sich nicht sogleich orten und definieren lassen, erhöhen die Spannung, verleiten die Wahrnehmung zu gesteigerter Aufmerksamkeit. Wenn es tickt im Raum – pocht, klopft, frappierend quietscht, am Ende klingelt -, hält man unwillkürlich die Luft an, um nach Sichtung der Lage tief durchzuatmen. Was sich im sachten Tempo da so geräuschvoll fortbewegt und retardierend in sich kreist, dehnt quasi den Nervenstrang noch einmal – läßt ihn sogleich gelockert zurückschnellen. Mitunter entkrampft sich das Mienenspiel des ernsthaften Kunstbetrachters. Es darf geschmunzelt werden.
Die filigranen Drahtobjekte Harry Kramers stimmen heiter und poetisch, verkörpern und präsentieren ein Stück Welttheater, das den strengen Gesetzen der Mechanik exakt gehorcht und – im Detail steckt die Ironie – den Spielraum in der zurückweisenden Gegenbewegung zuläßt. Rädchen – vom Elektromotor getrieben – übermitteln der mit Kostenschrift bedruckten Blechdose die Botschaft: über das Gummiband im amorphen Automatengehäuse. Nicht selten beziehen sich die transparenten Flachgebilde auf menschliche Anatomie, auf Hand, Fuß, den kopflosen Torso, auf pulsierende Herzkammern. Die Skulpturen verweisen auf Leben, markieren mit der Präzision eines Uhrwerks Besonderheiten bei einem Vorgang, der Dauer im Wechsel verheißt.
Als vielseitiger Artist, als ausgebildeter Ballettänzer und Choreograph dachte Kramer schon immer in Rhythmen, war er doch vom Sportwagen und vom Autorennen ebenso fasziniert wie von der Fechtkunst oder vom Seiltanz. Er betrieb einen Miniaturzirkus, kreierte Marionetten, inszenierte ein mechanisches Theater, bis er dazu überging, automobile Skulpturen zu schaffen. Inspiriert von Jean Tinguelys monströsem Ulk mit Schrott…