EIER
In Luis Buñuels surrealistischem Film “Le chien andalou” (1927) gibt es die berühmte Szene, in der ein Rasiermesser ein menschliches Auge durchtrennt, das sich dann während des Schnitts in ein auslaufendes Ei verwandelt. Diese brutale Vorführung der Empfindlichkeit und Verletzlichkeit des Sinnesorgans in Verbindung mit der Zerbrechlichkeit des Hühnereies fand das damalige Kinopublikum ziemlich schockierend.
Varieté-Illusionisten zeigen gerne Tricks mit Eiern, die unter Tüchern verschwinden und dann unverhofft vom Zauberer wieder ausgespuckt werden. Daran kann man bei der Betrachtung von Christine Biehlers Videoskulptur denken, die auf drei Monitoren die Performance “EINEI” (1993) wiedergibt. Eine “elegant schwarzgekleidete Frau mit armlangen, hautengen roten Gummihandschuhen” mischt sich unter eine Festgesellschaft und schiebt “unvermittelt einen weißen runden Gegenstand aus ihren rotgeschminkten Lippen”, lässt ihn “danach wieder in ihrem Mund verschwinden”.
Bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieser weiße Gegenstand als hartgekochtes und geschältes Ei, das von der Akteurin “mal unendlich vorsichtig und langsam, mal nervös zuckend in verschiedenen Rhythmen hin- und hergeschoben und wieder eingesaugt” wird.1 Diese Vorführung von Einverleibung und Ausspeien hat natürlich einen eindeutigen erotischen Charakter. Einerseits ist die Performance als eine auf den unmittelbaren theatralischen Ausdruck zielende Körperaktion zu beschreiben. Die visuelle Inszenierung hat einen aktionistischen Selbstzweck. Andererseits drängt sich aber auch die Deutung auf, es handele sich um die Vorführung tiefenpsychologischer und mythologischer Bedeutungen, die sich mit “Ei” assoziieren lassen: Die weibliche Eizelle und die Eihülle bei den Brütern im Tierreich als Ursprung des Lebens (s. hierzu auch Interview mit Daniel Spoerri).
Im Vordergrund steht die dramaturgische Wirkung des Farbkontrasts rote Lippen-weißes Ei. In…