Martin Blättner
Edward Hopper (1882 – 1967)
Kunsthalle Schirn, Frankfurt, 5.12.1992 – 14.2.1993
Das Licht, der Schatten einer Frau und die Imagination. Ein Aufbruch von der Bettwärme in die kühle Kammer. Die Zudecke ist zurückgeschlagen, das verdeckte Fenster wohl offen – ein flatternder Vorhang und der Charme von Stöckelschuhen kennzeichnen den Tatort. Offenbar handelt es sich um eine profane Danae-Komposition. Gleichsam als die ins irdische Gemach gesperrte Tochter des Akrisios setzt sich eine Nackte den wunderbaren Verwandlungskünsten des Zeus aus. Wie ein Goldregen fällt Sonnenlicht auf die schlanke Schönheit. Mit stupider Gelassenheit und geradezu ernüchternd hält sie die unvermeidliche Zigarette in der Hand – vermutlichen allegorisch-moralisierenden Interpretationen sind dadurch klare Grenzen gesetzt. Das lapidar “A Woman in the Sun” betitelte Spätwerk von Edward Hopper – er malte es erst 1961, kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag – verzichtet auf sentimentale Bezüge und gibt wie so manches Bild dieses amerikanischen Einzelgängers Rätsel auf, die aus dem meisterhaften Zusammenspiel einer verinnerlichten und zugleich empirisch nach außen gerichteten Wirklichkeitssuche herrühren. Die atmosphärischen Qualitäten der stillebenhaften Interieurs und Landschaften zeichnen sich durch die strenge Versachlichung emotionaler Bedeutungen aus. Symbolisch verdichtete Farblicht-Phänomene fungieren als die eigentlichen Handlungsträger. Das duale Licht-Schatten-System mit den diesem innewohnenden Möglichkeiten von labiler Veränderung und Metamorphose sind die Botschaft. Die Künstlichkeit der Akteure – die fast zu Statisten von Schaufensterbühnen degradiert sind – leitet sich als die Quintessenz aus dem abstrahierenden Destillationsprozeß des Natürlichen ab. Hopper erwies sich als ein Meister des Weglassens, als ein Verzauberer der Leere – das komplementäre Gegenbild ist in…