Viola Michely
Documenta feminale
Über den selbstverständlichen Umgang mit feministischen Positionen in der Kunst
Mit Lévi-Strauss gesprochen „Man muss sich vor der Kontingenz der Geschichte verneigen“, so präsentiert die Documenta 12 ein nahezu paritätisches Verhältnis von 55 Künstlerinnen zu 61 Künstlern. Die einzige von einer Frau geleitete Documenta beteiligte nur 27 Künstlerinnen im Verhältnis zu 78 Künstlern. Der unausgesprochene Feminismus der Documenta 12 ist erstaunlich, angesichts der Zurückhaltung feministischer Positionen in den aktuellen Debatten um Kultur, als ob sich auch da etwas überlebt hätte. Dass dem nicht so ist, mag stellvertretend die Videoinstallation des Künstlers Amar Kanwar bezeugen. Darin wird die Verschleppung und Gewalt gegen Frauen an den Grenzen Indiens als Geschichte und Tagesgeschehen mit Handlungsbedarf identifiziert. Die Bilder, Dokumente und Erinnerungen Überlebender kulminieren in einer aktuellen politischen Demonstration nackter Frauen vor einer Militärbasis, die „Rape me“ skandieren.
Die aktuelle Documenta ist ein Lehrstück über den selbstverständlichen Umgang mit der Kunst von Frauen und der Kunst von Männern. Sie schafft es, fernab einer Polemik oder Besonderung, feministische Positionen als integralen Bestandteil kultureller Produktion vorzuführen. Drei kuratorische Entscheidungen sind hervorzuheben: 1.) der Verzicht auf polemische „Hauptwerke“, 2.) damit einhergehend die Entscheidung für das Abseitige und für viele Werke eines Künstlers/einer Künstlerin, um die künstlerische Position in der Tiefe zu repräsentieren und 3.) entsprechend künstlerischer sowie betrachtender Zugänge zur Kunst sind die Werke so gruppiert, dass jeder Ausstellungsort ein Zugangsthema anspricht.
Die Zugänge zur Kunst zu thematisieren, ist ein Kunstgriff, dem es wohl auch zu verdanken ist, dass auf der Documenta so viele radikale Positionen vertreten…